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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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ein Holzkruzifix am Rückspiegel baumeln. Der Fahrer saß wie ein Flaschenschiff in der Flasche zwischen Lenkrad und Sitz geklemmt. Umständlich kurbelte er die Scheibe herunter. Wir fragten gleichzeitig:
    „Pastor Näb?“ – „Frank Fercher?“
    „Ja.“ – „Ja.“
    „Gott sei Dank!“ – „Steig ein, mein Junge.“
    Ich ging um das Auto herum, öffnete die Tür, setzt mich auf den Beifahrersitz, legte meinen Arm im Fußraum ab, zog die Tür zu und merkte, dass ich gleich weg sein würde.
    Das Gesicht des Pastors bestand zur Hälfte aus großen, kräft igen Zähnen, zur anderen Hälfte aus Lachfalten, er verrenkte sich in seinem Sitz, um mir die Hand entgegenzustrecken. Ich zeigte ihm meinen rechten Arm mit dem leeren Ärmel. Er sah meine nackten Beine und die Filzpantoffeln, sein Grinsen schloss sich über den Zähnen. Er ließ seine Hand aufs Lenkrad zurück sinken.
    „Bitte“, sagte ich, „ich weiß nicht, wie lange ich noch wach bleiben kann. Fahren Sie so schnell wie möglich zurück und, vor allem, verlassen Sie diese Straße so früh wie möglich.“
    Er nickte, legte sofort den Rückwärtsgang ein und wendete.
    „Ich erzähle Ihnen später alles“, versprach ich und spürte, wie mein Körper schwerer und schw erer wurde. Auf einmal hatte ich beißende Schmerzen in meinem Armstumpf.
    „Ach ja“, sagte ich, schnaufte schnappend, meine Augen schlossen sich. „Mein Päckchen da u nten, bitte lagern sie es so kalt wie möglich.“
    Ich spürte, wie der Wagen beschleunigte, wurde wohlig in den Sitz gedrückt. Der Sitz gab unter mir nach, löste sich auf. Ich schwebte davon und verlor mich in Schwärze.
    „Am besten...“
    Gleißend-klare Bilder traten vor meine geschloss enen Augen.
    „...in einer Gefrie rtruhe.“

Kapitel 11
     
    Das wird so eine Art Genesungsschlaf, hatte ich gedacht, b evor ich im Auto des Pastors aus dem Bewusstsein geknickt war. Vielleicht schlafe ich 24 Stunden ununterbrochen und wache auf so erholt wie nie, einarmig leider, aber endlich wieder gesund und bei Kräften. Frei und bald zu Hause.
    Seit meiner Inhaftierung war es mein Nahziel gewesen, auszubr echen, und das nächstfolgende Ziel, mich zurück in die Heimat durchzuschlagen. Nun lag die Heimkehr scheinbar in greifbarer Nähe, und ein nächstes Ziel trat in den Vordergrund: Ich wollte Peter Honkes gegenübertreten. Ich wollte ihn mit dem konfrontieren, was er mir angetan hatte. Es wäre gelogen, zu behaupten, ich hätte nicht an Rache gedacht und mich wahnhaft mit dem Gedanken beschäftigt, ihm irgend etwas abzuschneiden und ihn anschließend umzubringen, aber ich wusste zugleich auch, dass mir Rache nur so lange Befriedigung verschaffen würde, wie ich sie in Gedanken ausführte. Ich traute mir nicht zu, jemanden vorsätzlich zu verletzen, nicht einmal ihn, und schon gar nicht ihn umzubringen.
    Es sollte über sieben Wochen dauern, bis ich wieder einen kl aren Gedanken fassen konnte. 53 Tage Delirium, um genau zu sein. 53 Tage, in denen ich schwitzte und fantasierte und in Krämpfen mit dem Armstumpf gegen die Wand schlug, bis sie das Bett von der Wand wegzerrten, und dann gegen die Bettkante, bis sie mir den rechten Arm schließlich am Körper festbanden.
    Um den 45. Tag herum schien es zu Ende zu gehen. Ich lag stunde nlang bewegungslos mit halb offenen Augen stierend, und der Spiegel, den sie mir unter die Nase hielten, beschlug kaum noch. Pastor Näb, der nicht wusste, wie ich konfessionell einzuordnen war, gab mir für alle Fälle den Sterbesegen, das Grab war schon herausgesucht.
    „Dem Wohltäter unserer Kirche – wir hätte Dich gerne länger unter uns g ehabt“, wollte er in einen Marmor-Grabstein meißeln lassen. Ich musste darüber lächeln, als ich es erfuhr, und schämte mich auch, weil ich das Geld doch zuallerletzt zum Wohl der Kirche gegeben hatte. Freikaufen hatte ich mich wollen und Honkes nach Kronsweide zurücklocken. Nun war ich selber dort gestrandet.
    Das erste, was ich wirklich sah und nicht nur in Fetzen wah rnahm, war das füllige, gute Gesicht einer Frau mit buntem Kopftuch und derbem Blumenkleid, die sich ihre Schürze um den Brustkorb statt um die Taille gebunden hatte, was ihren wogenden Busen noch üppiger erscheinen ließ. Sie saß an meinem Bett und tupfte mir die Stirn, lächelte mich an, als sie meinen Blick fest den ihren suchen sah. Ich kannte dieses Gesicht. Wahrscheinlich aus den halbwachen Momenten meines Deliriums.
    Sie sagte etwas, das ich nicht verstand, legte das

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