Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
Tuch beise ite, stand auf und ging aus dem Zimmer. Ein liebes russisches Mütterchen, dachte ich, hier war ich endlich geborgen. Über meinem Bett hing eine verblasste Ikone, die auf drei zusammengenagelte Holztäfelchen gemalt war. Auf dem Nachtkästchen lag auf einem Häkeldeckchen eine wuchtige, reich verzierte Bibel. Mein Körper schwitzte unter einem aufgeblähten Federbett.
Ich holte meinen rechten Arm darunter hervor, zog den Verband ab wie einen Finge rhut und betrachtete den Stumpf an meinem dürr gewordenen Unterarm. Wie wulstig die Amputationsnarbe gewachsen war. Von weiterer Wucherung aber, dem Himmel sei Dank, keine Spur. Die führte 70 Kilometer von hier auf Petrischalen ein Eigenleben.
„Alles bestens verheilt“, tönte es von der Tür. Zähne und Lac hfalten - Pastor Näb trampelte zusammen mit meiner Pflegerin an mein Bett. Ich versuchte mich hochzudrücken.
„Kann ich aufstehen?“
„Ich würde erst mal was essen, wenn ich du wäre“, riet mir der Pastor und legte mir fest die Hand auf die Schulter. „Wir haben dir die zwei Monate nur Suppen einflößen können und bisschen Brei gelegentlich. Lebst nur noch, weil die Lina hier sich gekümmert hat Tag und Nacht.“
„Vielen Dank“, krächzte ich und wühlte meine linke Hand unter dem Bett heraus. Lina nahm sie in ihre dicken rauen Hände und l ächelte mich an. Ich war ihr so dankbar und verbunden, wie ich es nie hätte ausdrücken können und wusste doch, dass mein Blick und die zwei Worte ihr genügten. Der Pastor sprach sie auf Russisch an, sie verließ die Stube, und er setzte sich an mein Bett.
„Sie macht dir bisschen was Festes, Kartoffeln und Hühne rfleisch.“
„Ist Lina Ihre Schwester?“
„Weil wir beide so fett sind, meinst du?“
Sein Gesicht verzog sich zu grinsenden Zähnen und Fa lten.
„Nein, ich habe keine Schwester.“
„Ihre Haushälterin? Oder eine Krankenpflegerin?“
Er schüttelte den Kopf.
„Lina ist die Mutter von Peter Honkes.“
Ich hatte mich halb aufgerichtet. Nun ließ ich mich wieder in das dicke Kissen sinken.
„Das hier war sein Zimmer, sein Bett. Sein Schlafanzug...“
Ich kam mir verhöhnt vor. Ich war beschämt. Ich wollte aufbege hren. Ich konnte nichts sagen. Ich wollte aus diesem Bett springen und mir den Schlafanzug vom Leib reißen. Ich hatte nicht die Kraft mich zu bewegen, blieb liegen, starrte an die Decke. Er wusste ja nicht, was Honkes mir angetan hatte. Aber hätte er es sich nicht denken können? Mich ausgerechnet in dieses Haus zu bringen, in dieses Bett!
„Betrachte das als Ehre, sie nimmt dich als ihren Sohn.“
Ich hob meinen Armstumpf.
„Das da...“
Mehr konnte ich nicht sagen. In meiner Kehle blubberte es.
„Ich hab dir am Telefon gesagt, war gefährliche Idee, mit Peter Honkes Schwierigkeiten anz ufangen.“
Habe ich doch gar nicht, wollte ich sagen, hätte ich niemals! Das ist alles einfach so gekommen. Ich brachte es nicht he raus, schüttelte nur langsam den Kopf.
„Lina weiß, dass ihr Sohn dich in diese Lage gebracht. Weiß nicht wie und was, aber sieht, dass du wegen ihm leidest und will es wieder gutm achen.“
„Ich muss so schnell wie möglich nach Hause zurück. Ich kann nicht verlangen, dass Sie mich fa hren, aber vielleicht geht ein Bus oder ein Zug.“
Der Pastor lächelte schmerzlich und kratzte sich an einem dun klen, haarigen Fleck an seiner Stirn.
„Ich bin mir sicher, in der Bundesrepublik Deutschland steigt man in einen Zug oder Bus und fährt wohin man will. Aber hier geht das nicht so einfach, schon gar nicht in deiner Lage.“
„In meiner Lage...?“
„Sie suchen nach dir. Kannst du dir das nicht denken?“
„Die Polizei? Hat jemand nach mir gefragt?“
„Nicht so direkt gefragt. War schon peinliche Sache für die, dass du nicht bewacht warst und dich einfach so davonmachst und weg bist. War nix in den Zeitungen und so. Aber ich kenne Leute, die kennen andere mit Kontakt zu Leute von gehe imer Dienst...“
„Vom Geheimdienst?“
„So was in der Art. Sind viele Lauscher aus Sowjetunion-Zeit übrig, die so was machen und fragen nach Mann ohne einen rechten Arm, hat man was gesehen oder gehört, ist gefährlich dieser Mann, böser Vergewaltiger... Ich glaube nicht, dass du Frau von uns Gewalt angetan hast. Hat bestimmt Peter Honkes dir so hingedeichselt, dass man dich verdächtigt.“
„Ich kann sogar beweisen, dass ich unschuldig bin. Wenn es hart auf hart kommt und ich unterwegs gefasst werden
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