Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
Axt, schlug sie mit aller Gewalt in den Holzklotz und spaltete ihn glatt. Eine der Hälften fiel zu Boden, die andere schob ich vom Hackklotz, legte die Axt beiseite und setzte mich.
Ho nkes wollte kommen! Das war die Chance, es dem verdammten Schwein heimzuzahlen. War dieser Gedanke schon verrückt genug – ich mit meinem einen Arm gegen diesen brutalen Steinewerfer –, kam mir gleichberechtigt daneben ein noch viel verrückterer in den Sinn: Ich trete ihm gegenüber, zeige ihm meinen Stumpf und sage: Schau, was du mir angetan hast, das steht ja wohl in keinem Verhältnis zu dem, was du mir meintest heimzahlen zu müssen. Jetzt mach das gefälligst wieder gut, schaff mich raus aus diesem Land und in die Heimat zurück, die Verbindungen hast du, um mir zu helfen, und dann ist alles vergessen, was zwischen uns war. Ein unfairer Handel – mir selbst gegenüber.
Aber warum nicht? Was waren denn die Alternativen? Rache ne hmen und mich damit an Lina versündigen, ihr das Vertrauen, das sie mir einen Augenblick zuvor entgegengebracht hatte, aufs Schändlichste zu entgelten. Mich selbst brachte ich damit auch nicht weiter, ich machte mich zum Feind dieses Dorfes damit, beraubte mich selbst der letzten Zuflucht, und den Weg nach Hause blockierte ich mir wohl für immer. Ich löste damit mein Ticket zurück in den Kerker.
Alternative 2: Mich verstecken – völliger Blödsinn. Der würde mich finden. Das war sein Dorf, sein Land.
Alternative 3: Meine Rückkehr vor der Zeit antreten. Auch das war ein unkalkulierbares Risiko.
A lso noch einmal: Warum denn nicht mich mit ihm zusammentun? Ihm würde das imponieren, und es würde seinem Ehrenkodex nicht widersprechen. Ich beugte mich vor meinem Peiniger, wenn man das so sehen wollte, richtete damit aber mir selbst und allen Beteiligten gegenüber den geringsten Schaden an. Ich war es, letztlich, auch meiner Familie schuldig.
Ein paar Tage lang führte ich alle Pläne gleichzeitig und wild durcheinander aus, ich kreuzte sie, zum Beispiel so: mich Honkes anvertrauen, und ihm dann, im Moment seines Triumphes, den Schädel einschlagen. Eine ganz neue Idee kam mir, die mir eine Zeitlang am besten gefiel: Ich rief zu Hause an, nicht Melanie sondern Jürgen Rogalla, und ließ ihn ein Befreiungskommando aus Elitekämpfern aufstellen, das mich hier herausholte.
Bullshit.
Ich kam schließlich dahin, dass es nur einen Ausweg gab. Ich musste meine Flucht vorziehen, und zwar auf genau die Art, die der Pastor noch immer heftig ablehnte: Ich musste mich einer Schlepperbande anvertrauen.
„Kommt überhaupt nicht in Frage“, sagte er mit vollen Backen und spuckte dabei ein Stück Ka rtoffel auf den Tisch, als ich ihm beim Abendessen mitteilte, ich habe mich unwiderruflich für diesen Weg entschieden. Es sah aus, als würden wir Wasser zum Essen trinken. Der Pastor schluckte hinunter und nahm einen tiefen Zug der klaren, schimmernden Flüssigkeit – das Wasser des Lebens, wie er es nannte. Ich selbst hatte angefangen, mich zurückzuhalten und mich, wenn auch noch nicht mit dem gewünschten Erfolg, auf wirkliches Wasser umzustellen.
„Ich kann nicht länger warten. Es ist ein Wunder, dass der Fre mde sich noch nicht wieder hat blicken lassen. Oder irgendein anderer Spion von Polizei oder Honkes Bande.“
„Mit Verbrechern macht man keine Geschäfte.“
„Da gebe ich Ihnen recht. Was machen wir also?“
„Abwarten.“
„Und wie lange?“
„Bis bessere Gelegenheit kommt.“
„Ihr Gottvertrauen möchte ich haben. Gute Gelegenheiten kommen nicht einfach von selbst. Man muss sie sich schaffen.“
„Sicher. Und genau da bin ich drüber.“
Er kaute an seinen Kartoffeln und grinste mich listig an. Ich grinste zurück.
„Nun sagen Sie schon.“
„Wird dir nicht gefallen.“
„Alles, was mich nach Hause bringen kann, gefällt mir.“
„Ich habe zweimal telefoniert mit Pirmin.“
Als ich den Namen hörte, verging mir das Grinsen.
„Siehst du: Gefällt dir nicht.“
„Ausgerechnet auf den soll ich setzen?“
„Er würde das nie zugeben, aber er wird geplagt vom schlechten Gewissen. Redet sich jetzt raus mit Vorwänden wie: war alles schlecht vorbereitet, zu überraschend, hatte keine Zeit zum Nachdenken... Ich sage: Pirmin, jetzt hast du Zeit. Und er sagt: Könnte sein, wir präparieren einen der Laster mit einem Geheimversteck, so dass wir das Risiko begrenzen, wenn wir es beim nächsten Mal versuchen.“
„Und wann soll das sein?“, fragte ich
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