Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
stand und nicht wusste, wie es weitergehen sol lte. Aber ich konnte jetzt nicht gehen, mich davonstehlen. Nicht ohne ihn. Ich bückte mich und öffnete, Zahnpaar für Zahnpaar, den Reißverschluss der Tasche. Ein schwarzer Pullover quoll hervor, darunter eine schwarze Hose, Unterhosen, ein paar Socken, Zeitschriften mit kyrillischen Buchstaben und mir fremden Leuten auf den Bildern. Rasierzeug. Keine Waffe, verdammt! Noch mehr Socken. Ein paar davon recht schwer und fest. Ich wrang sie auseinander, fand ein Bündel Hundert-Dollar-Noten und steckte das Geld ein, nicht ohne einen Blick auf den Besitzer zu werfen. Er lag noch in der gleichen Haltung im Sessel, sein Mund stand offen.
So kam ich nicht weiter. Ich stopfte alles in die Tasche zurück und schloss den Reißverschluss. In einem Anfall von Übermut trat ich neben Honkes, sah unter der verrutschten Jacke einen Schu lterriemen verlaufen, vertraute auf den Überraschungseffekt, griff ihm seitlich unter die Jacke und zog die Pistole aus dem Halfter. Keine Reaktion. Ich tippte ihm mit dem Pistolenlauf gegen die Schulter. Er schlief. Ich stieß ihn mit der Faust, in der ich die Pistole hielt. Ein unwilliges Schnauben, das war alles.
Kein Mensch kann so fest schlafen, dachte ich, und wusste doch, dass er nicht markierte. Sein ausdrucksloses, durch den offenen Mund e twas blöde aussehendes Gesicht, die völlig entspannte Körperhaltung, das Schnarchen, die Aura der Ahnungslosigkeit - kein Zweifel, er war im Tiefschlaf.
Mit voller Kraft trat ich ihm gegen das ausgestreckte Bein und kickte seinen Fuß vom Tisch. Er verschluckte sich beim Schna rchen, riss die Augen auf, erkannte mich. Die Verblüffung war echt, das Raubtier war wach. Er richtete sich im Sessel auf, streckte sich kurz und sagte mit kratziger Stimme, ohne mich anzusehen:
„Weißt du denn überhaupt, wie man das Ding benutzt?“
„Wenn es komplizierter wäre als einfach nur abdrücken, würdest du nicht lange fragen.“
„Wozu sollte ich dich gleich überwältigen, wenn ich eine Zeit lang Spaß mit dir haben kann?“
„Wenn du mich angreifst, drücke ich ab, und wenn dann ein Schuss kommt, gut, wenn nicht, auch egal. Ich hab nichts mehr zu verlieren.“
„Und wie soll das jetzt weitergehen?“
„Du bringst mich zurück.“
„Wohin? Ins Gefängnis?“
Er grinste.
„Zurück nach Hause.“
Sein Grinsen erstarrte.
„Du bist verrückt. Wie soll ich das a nstellen?“
Mein Mut schwand ein wenig. Er wirkte nicht so souverän wie e iner, der in diesem Land ein und ausgehen konnte, wie ich mir das vorgestellt hatte.
„Du hast mich hierher verschleppt. Das war ja auch kein Pr oblem für dich.“
„Das war lang vorbereitet. Aber jetzt...“
„Zieh deine Schuhe an, nimm deine Tasche und dann raus zum Auto.“
Er schüttelte den Kopf, aber gehorchte.
„Waren die Vorhänge schon zu, als du kamst?“, fragte ich, und er nickte. Ich ließ ihn vorangehen, löschte das Licht, wir gingen aus dem Haus und zum Auto. Ich nahm innerlich Abschied. Es tat mir leid, den Pastor, Lina und alle anderen so im Ungewissen zurücklassen zu müssen, aber anders ging es nicht.
Ho nkes verstaute seine Tasche im Kofferraum. Ich sah hoch zur Kirche. Wir stiegen ein, er auf den Fahrersitz, ich nach hinten – weil ich ihn besser im Auge haben wollte, aber auch, weil es unmöglich ist, jemanden, der links von einem sitzt, mit einer Pistole in der linken Hand in Schach zu halten. Er schnallte sich an und startete den Motor.
„Und wohin nun, bitte?“
„Auf dem schnellsten Weg nach Deutschland.“
„Weißt du überhaupt, wie weit das ist? Ich bin saum üde!“
„Ich auch. Wir müssen weg vom Dorf, dann sehen wir weiter.“
Er legte den Gang ein, zögerte, nahm den Gang wieder heraus und drehte den Kopf zu mir nach hinten.
„Weißt du noch, als wir vor dem CbT standen und ich dich g ewarnt habe, du sollst mich besser laufen lassen?“
Ich nickte.
„Das ist nun wieder so ein Moment. Lass uns hier auseinandergehen, und ich verspreche, dass ich dir nichts tue. Andererseits, ich will dir nicht drohen, aber du weißt ja, was dir deine Sturheit das letzte Mal eingebracht hat.“
„Fahr schon los!“
Er wandte sich zur Straße, ohne dass seinem Gesicht eine Reaktion anzumerken war, und legte den Gang ein. Röhrend machte das kleine Auto sich auf den Weg.
„Du musst echt am Arsch sein“, sagte Honkes nach einer Weile.
Bis auf ein Schimmern des Tachos war es dunkel im Auto, aber ich konnte sein Grinsen
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