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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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dass es eine Gemeinheit dem Pastor gegenüber war, bei der Spendenaktion, die er für mich arrangiert hatte, nicht dabei zu sein. Ich würde den Gottesdienst damit nicht sprengen, mir war halt schlecht geworden, aber ich zeigte mich undankbar.
    Indes: Was geschähe, handelte ich jetzt nicht? Honkes hatte nicht ausgesehen als würde er aus seinem Besuch ein Geheimnis m achen wollen. Er hatte nur nicht in die Prozession platzen wollen. Vielleicht hatte er was gegen die Kirche oder wollte dem Pastor nicht begegnen, jedenfalls war er mir überhaupt nur aufgefallen, weil unbeleuchtete Hauptstraßen für mich immer noch ungewohnt und einen langen Blick wert waren, und auf der Suche nach irgendeinem Licht hatte ich die Zigarette gesehen. Nach den drei Fackelrunden würden die Teilnehmer sich vor dem Kirchenportal versammeln und wieder hineingehen, ohne das Auto, das jetzt ganz im Schatten stand, bemerkt zu haben. Mir blieben etwa drei Stunden.
    Ich wartete nicht, bis sie das zweite Mal um die Kirche herum w aren. Geduckt lief ich die Hauptstraße hinunter, suchte Deckung hinter dem Auto, einem dunkelgrünen Kleinwagen offenbar russischer Bauart, als ich bei einem Blick über die Schulter den Fackelschein aufs Portal zukommen sah, blieb reglos, bis der Zug wieder hinter der Kirche verschwunden war, und schlich zu Linas Haus.
     
    Honkes hatte Licht gemacht und die Vorhänge zugezogen, sofern sie nicht schon vorher zu gewesen waren, der Schein war durch den dicken Stoff kaum auszumachen. Ich umrundete das Haus einmal – alle Fenster waren verdunkelt. Die Tür war unverschlossen. Ich ging hinein ohne nachzudenken, und ohne mir irgendwelche Gedanken zu machen, gar einen Plan zu haben, schlich ich durch den Flur zur Wohnstube. Die Tür stand offen, der Raum war hell erleuchtet. Neben der Schwelle hatte Honkes seine Reisetasche abgestellt und sich auf den Sessel gelümmelt. Die Schuhe hatte er ausgezogen, aber seine knarrende Lederjacke anbehalten.
    Er schien eing eschlafen zu sein. Sein rechter Fuß lag auf dem Tisch, der schwarze Socken halb über den Fuß gezogen. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber ich roch intensiven Fußschweiß. Mein Herz raste.
    In den Wochen im Dorf hatte ich mir wieder und wieder ausg emalt, wie es sein würde, ihm zu begegnen. Schon die Vorstellung hatte meinen Puls beschleunigt. Natürlich hatte ich in meinen Tagträumen ausgeklügelte Pläne parat, wie mein Gegner zu überwältigen sei, aber immer kam es zum Kampf, den ich mir allerdings nie so weit ausmalte um einen Sieger zuzulassen. Ich hatte Angst, in der Vorstellung die Oberhand zu behalten, denn in Wirklichkeit kam es meist andersherum als man es sich zurechtfantasierte.
    Als ich nun hinter ihm stand und auf seine ölig glänzenden schwarzen Haare starrte, seinen k olossalen Brustkorb und die kräftigen langen Beine, schien es mir vernünftig, ihm, um einen Kampf auszuschließen, die bauchige Blumenvase seiner Mutter auf dem Schädel zu zertrümmern und ihn an Armen und Beinen zu fesseln. Ich sah nichts im Raum, womit ich ihn hätte fesseln können, und, ach übrigens, Frank, glaubst du, mit nur einer Hand und den Zähnen einen Knoten zurren zu können, der fest genug ist, den unbändigen Kräfte dieses Muskelprotzes standzuhalten?
    Fieberhaft suchte ich nach irgend etwas. Konnte es denn sein, dass er mich bisher nicht bemerkt hatte? Er spielte mit mir, ganz s icher, wollte meine Nervosität auskosten, aber ich war nicht nervös. Seine Reisetasche fiel mir ein. Ich sah den breiten, festen Reißverschluss und hörte im Geiste das metallene Surren, das ihn sofort wecken würde, wenn ich versuchte, die Tasche zu öffnen.
    Noch konnte ich mich zurückziehen. Ich konnte zur Kirche hoch, meinen Fluchthelfer alarmieren und mich d avonmachen mit ihm, so lange Honkes schlief. Er würde nie erfahren, dass ich hier neben ihm gestanden hatte. Das war es doch letztlich gewesen, was ich gewollt hatte: Ich wollte ihm noch einmal gegenübertreten, den Mut haben, mich ihm auf einen Meter zu nähern. Musste er denn wach sein dabei? Er war kein Monster, er war ein schnarchender, öliger, Fußschweißgestank verbreitender Ganove. Was hätte ich davon, mir ein Messer aus der Küche zu holen und ihm die Kehle durchzuschneiden? Ich wollte nicht morden, ich wollte nicht kämpfen, ich wollte nach Hause.
    Tatsächlich – eigentlich wollte ich nur nach Hause. Das wurde mir klar in dieser langen Minute, mögen es zwei Minuten gewesen sein, die ich neben ihm

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