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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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so einer Situation darf man nicht lange nachdenken. Aber vorher hättest du dir das Auto anschauen müssen.“
    „Wegen der Tankanzeige...?“
    „Nein, weil es für deine Zwecke mit mir am Steuer nicht taugt. Vorne kannst du nicht sitzen als, sagen wir mal, Linkshänder.“
    Er drehte sich um und zeigte mir ein breites, gemeines Gri nsen.
    „Und hinten“ – seine Stimmlage wechselte abrupt – „sind keine S icherheitsgurte!“
    Ich hörte das Wort Sicherheitsgurte, hob ab von meinem Sitz, dachte „Ich Vollidiot!“, wurde über den Beifahrersitz geschle udert und knallte mit dem Kopf ans Armaturenbrett. Die Pistole war nicht mehr in meiner Hand. Der Fußraum des Beifahrersitzes rutschte vor mein Gesicht, als Honkes den Fuß von der Bremse nahm, wieder beschleunigte und wieder bremste, diesmal ohne Ruck. Ein Faustschlag in den Nacken traf mich. Ich rutschte vollends in den Fußraum, und noch ehe ich mich berappelt hatte, kam das Auto zum Stehen.
    Honkes packte mich an der Jacke, zerrte mich mit e inem Ruck über den Fahrersitz aus dem Auto und warf mich über die Straße in die Steppe. Ich riss beide Arme nach vorn, aber hatte nur eine Hand, um den Sturz abzufangen, knickte mit dem linken Arm ein, schrammte mit dem Stumpf über den steinharten Boden und überschlug mich. Honkes angelte sich seine Pistole aus dem Fußraum des Autos, steckte sie ins Schulterhalfter zurück und stieg ein.
    „Du musst das verstehen“, rief er mir im Plauderton zu, „ich bin einfach zu müde, um noch weiter zu fahren. Außerdem...“
    Er zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug.
    „...ist es interessanter, dich weiter dir selbst zu überla ssen. Wenn du es nach Deutschland geschafft hast, besuch mich mal.“
    Er lachte, wendete das kleine Auto und fuhr d avon. Bis ich mich aufgerappelt hatte und zur Straße gehumpelt war, sah ich keine Scheinwerfer und hörte keinen Motor mehr. Schwarz und still lag die Steppe unter dem schwarzblauen Sternenhimmel.

Kapitel 14
     
    Es gab nur zwei Möglichkeiten, vor oder zurück. Obwohl ich mir sicher war, genau in die Gegenrichtung meines Ziels zu la ufen, entschied ich mich für vor. Der Grund steckte als dickes Bündel in meiner Tasche. Sobald Honkes merken würde, dass ihm etwas fehlte, würde er mich jagen oder jagen lassen, und da zählte jeder Meter Vorsprung.
    Ich war übermüdet, aber gut bei Kräften. Die Vollbremsung und der Aufprall in der Steppe hatten mir nur ein paar Schürfwu nden und Prellungen eingetragen, und so kam ich schnellen Schrittes voran. Keine Straße endet im Nirgendwo, also gab es Hoffnung. Himmel und Erde trennten sich links von mir durch einen ersten Lichtschein vom Horizont. Ich hatte richtig vermutet: Die nächste Grenze, wer weiß wie viele tausend Kilometer vor mir, war die zu China. Aber ich hatte meine Pläne geändert.
    Ich mochte wohl zwei Stunden gewandert sein, die Sonne stand links der Straße eine Han dbreit über der Steppe, da hörte ich hinter mir ein Summen. Ich blieb stehen, drehte mich um und sah das gleiche Bild wie vor mir, nur ohne Sonne: blassblauer Himmel, braungrüne Steppe, eine endlos gerade Straße.
    Ich ging weiter, nach hinten auf das Summen lauschend. Es wu rde lauter. Im Gehen drehte ich mich wieder um, und diesmal sah ich etwas: Ein schwarzer Fleck flackerte ganz fern in den Wellenlinien der Luftschwingungen über der Straße. Erst sah es aus wie ein tief fliegendes Flugzeug, aber dann erkannte ich ein Auto. Es gab keinen Straßengraben, nicht die kleinste Unebenheit in der Steppe, hinter der ich mich hätte verstecken können. Und es wäre auch zu 50 Prozent ein Fehler gewesen, sich zu verstecken, wie es zu 50 Prozent ein Fehler war, sich nicht zu verstecken. Mein Denken zerfiel in Wahrscheinlichkeiten in den Minuten, in denen ich das Auto abwartete. Wiederum fifty-fifty, wenn es günstig stand, dass ein Fremder mich mitnahm, und fifty-fifty, wenn es Honkes war, dass ich am Leben blieb. Das Auto war nicht schwarz, es war braun. Ein brauner Lada. Und es war nicht Honkes, der am Steuer saß. Der Wagen hielt neben mir, ohne dass ich Zeichen gegeben hätte. Durch die Frontscheibe strahlte mich Jakob Neufeld an.
    „Gott sei Dank, du lebst“, rief er, als ich die Beifahrertür öf fnete und einstieg. „Wir haben schon Schlimmstes befürchtet, als wir nach dem Gottesdienst den Honkes gesehen haben aus dieser Richtung kommen.“
    Er machte Anstalten, das Auto zu wenden.
    „Nicht umkehren“, bat ich. „Wir können

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