Der Mann, der nicht geboren wurde
Mensch!«
»Wenn der mal nicht mehr auf dem Kerbholz hat als nur diesen einen
Händler«, unkte ein anderer.
Als es später wieder still und dunkel in den unterirdischen Gängen
geworden war, unternahm Rodraeg einen Versuch. Er presste sich wieder ans
Gitter und zischte in Arevauns Richtung einen Namen. »Dasco?«
Es kam keine Antwort.
Das war ja auch zu absurd. Dasco war tot, Rodraeg hatte ihn mit
eigenen Augen sterben sehen.
Aber Udin Ganija war ebenfalls tot gewesen und lebte jetzt wieder.
Selbst Rodraeg war tot gewesen, zweimal kurz hintereinander, und lebte.
Nichts von dem, was Rodraeg früher für wahr und unverrückbar hielt,
hatte noch Bestand.
Nichts.
14
Der Mann, der nicht geboren wurde
Der 28. Blättermond brach an.
Durch Dilljen Kohn erfuhr Rodraeg,
dass Larza Durbas nun die offizielle Nachfolgerin von Gauden Endreasis war.
Stadtgardekommandantin Durbas.
Was Arevaun anging, hatte Kohn eigentlich vorgehabt, den
Klippenwälder nach Aldava überführen zu lassen, um ihm dort wegen der Mordserie
an den Tuchhändlern den Prozess machen zu können. Aufgrund von Arevauns
tobsuchtsartigen Anfällen hatte Kohn davon jedoch bis auf Weiteres Abstand
genommen. Kohn spürte etwas »unbekannt Magisches« in dem hünenhaften Krieger
und fürchtete, dass ein Transport übers Land ihm Gelegenheit zum Entkommen
»oder zu noch Schlimmerem« bieten würde. »Nein, ich lasse ihn hier. Es gibt ein
zweites Kellergeschoss in diesem Gefängnis, mit ein paar Zellen für besonders
schwere Fälle. Dort wird Arevaun fürs Erste unterkommen.«
Rodraeg fragte, ob wegen Deterios Zeugenaussage nun schon ein
Prozess gegen ihn und das Mammut in die Wege geleitet
worden sei, aber Kohn verneinte. »Das sieht eher so aus, als müsste das alles
noch genau untersucht werden, auch im Hinblick auf die Vorkommnisse in Terrek.
Das ist eine Aufgabe für einen Sonderermittler. Vielleicht werde ich den
Auftrag erhalten, mich des Mammuts anzunehmen, wenn
ich mit Arevaun und Grigol fertig bin.«
»Aber heute ist der Achtundzwanzigste«, murmelte Rodraeg. »Bis
übermorgen muss alles vorbei sein, sonst ist Nebelmond.«
»Wie bitte?«, hakte Kohn interessiert nach.
»Nichts. Nichts.«
In der Mittagspause der Wächter
gelang es Tjarka, zu Rodraeg durchzuschlüpfen. Hastig fasste sie ihm ihre
gestrige Begegnung mit Wellingor Deterio zusammen. »Ich glaube, er kontrolliert
gar nichts mehr«, sagte sie abschlieÃend. »Die Mordserie wird weitergehen, und
alle â du, Naenn, Cajin, Bestar und auch ich â sind weiterhin in Lebensgefahr.
Der Mann, der nicht geboren wurde, ist irgendetwas Magisches, Ãbernatürliches.
Vielleicht Göttliches.«
»Willst du in den Thost zurück?«
»Ich fürchte, das wird mir nichts nützen. Eljazokad war auch im
Thost und wurde trotzdem erwischt.« Beide schwiegen, während sich im
Hintergrund schon Wachtposten näherten. Dann blickte Tjarka auf und Rodraeg in
die Augen. »Ich kann genauso gut hierbleiben und weiterhin als Bindeglied
dienen. Ich weià aber nicht, ob ich noch mal zu dir vorgelassen werde.«
»He, Mädchen, schon wieder du?«, brüllte einer der Wächter. »Ich hab
dir doch gesagt, du sollst dich fernhalten von dem Kerl!«
»Ich überlasse es dir«, sagte Rodraeg. »Bring dich in Sicherheit, wo
du willst. Aber pass auf dich auf! Vielleicht hast du Glück, und er übersieht
dich.«
»Ja. Vielleicht haben wir alle ja zur Abwechslung mal Glück!«
Mit einer raschen Bewegung tauchte Tjarka unter den zupackenden
Armen des Wächters durch und flüchtete aus dem Kerkertrakt. Der Wächter folgte
ihr nur zehn Schritte, dann gab er schnaufend auf.
Rodraeg wusste nun, dass
Wellingor Deterio den Mann, der nicht geboren wurde, auf das Mammut angesetzt hatte,
weil Bestar im Terreker Talkessel das Wort »Mammut« als Kampfschrei benutzt
hatte. Deterio lag im Sterben. Er würde den Mörder auch dann nicht
zurückpfeifen, wenn man ihn bedrohte. Und der Mörder würde sich wohl auch gar
nicht mehr zurückpfeifen lassen.
Der Heimlichgeher steckte dahinter.
Raukar.
Mit dem Rodraeg kurz gesprochen hatte, in der Nacht, als Eljazokad
zum Mammut kam. Wonach war dieser Heimlichgeher auf
der Suche gewesen? Nach jemandem mit Honig auf der Zunge ?
Wie sollte man nur jemals hoffen können, all dies zu begreifen?
Der
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