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Der Mann, der nicht geboren wurde

Der Mann, der nicht geboren wurde

Titel: Der Mann, der nicht geboren wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Affenmenschen und
Scherendrachen. Eine Belagerung mitten in einer Stadt, mit Morden ringsherum
und Mördern, die eigentlich nur Lustsklavinnen waren oder Gardistenfrauen oder
Menschen wie Rodraeg, die ansonsten fürsorglich und rechtschaffen lebten.
    Aber Tjarka musste sich auch eingestehen, dass der Schrecken schon
vorher nach ihr gegriffen hatte, schon als die Kaninchen des Thostwalds
umgebracht wurden und ihr bester und einziger Freund Forker Munsen sich nicht
mehr anders zu helfen gewusst hatte, als sich seiner Schuld durch Selbstmord zu
entziehen. Das Mammut hatte das Furchtbare nicht in
die Welt gebracht. Es hatte dem Furchtbaren nur Namen und Gesichter verliehen
und es dadurch angreifbarer gemacht. Sich selbst aber leider auch.
    Tjarka war Unheimlichem und Unerklärlichem bereits begegnet und
wappnete sich, als der Vierschrötige sie in Deterios Zimmer führte – und
dennoch war sie unvorbereitet auf das, was sie nun zu sehen bekam.
    Der Raum war groß und herrschaftlich, wahrscheinlich einer der
schönsten im Haus. Die Vorhänge jedoch waren zugezogen und ließen nur braun
gefiltertes Licht hindurch. Sich umzusehen war, wie im Trüben zu fischen.
    Der Vierschrötige stellte sich hinter Tjarka auf und versperrte mit
seiner Massigkeit die Tür. Zwei weitere Bedienstete – ältliche, unscheinbare
Gestalten – saßen auf Stühlen links und rechts neben einem großen, überdachten
Bett. Als Handwerkszeug hielten sie Lappen und Holzeimer, verschiedene
Tinkturen, Bürsten, Gläser mit Blutegeln darin, Trockentücher, Schüsselchen und
Schwämme bereit.
    In dem alles beherrschenden Bett lag – oder besser saß, denn sein
Rücken wurde durch etliche Kissen hochgestützt – ein Mann, der womöglich noch
gar nicht alt war. Er trug Augengläser und regte sich ein wenig, als Tjarka vor
ihn trat, aber jede Bewegung schien ihm eine Qual zu sein. Sein ganzer Körper,
soweit man ihn unter den Decken erkennen konnte, war verkürzt und verdreht, der
sichtbar über der Decke liegende Arm sah aus, als wäre er zehnmal gebrochen und
beim Verheilen stümperhaft sich selbst überlassen worden. Die Haare des Mannes
waren fast alle ausgefallen, nur noch vereinzelt sprossen strohige Büschel auf
seinem mit Schwären übersäten Kopf. Das Gesicht war noch intakt, aber das
Gesicht war alles, was diesem Mann nicht genommen worden war.
    Sah so ein Opfer des Mammuts aus? Tjarka
schluckte.
    Â»Ihr seid … Wellingor Deterio?«
    Die Stimme des Mannes war einfach nur grässlich. Sie klang, als
steckte ihm einer seiner eigenen Knochen quer im Hals. »Der war ich mal, ja.
Wer hat dich geschickt, Mädchen?«
    Â»Gewissermaßen … Rodraeg Delbane. Durch ihn weiß ich Euren Namen. Er
tobt und wütet in der Zelle, weil das Mammut nun
vernichtet ist.«
    Deterio lachte. Dabei verspannte sich sein abgemagertes Gesicht zur
todesähnlichen Grimasse. »Immerhin kann er noch toben und wüten. Nein, das Mammut ist noch gar nicht vernichtet. Der Kreis auch nicht. Erst, wenn Leribin und Delbane am Galgen
baumeln, dann kann ich …« Ein schrecklicher Hustenanfall schüttelte ihn und
stülpte sein Gesicht nach vorne. Beim Husten schien er starke Schmerzen zu
leiden. Die beiden schlanken Bediensteten traten von links und rechts an ihn
heran, stützten ihn fürsorglich und geduldig beim Husten und wuschen
anschließend seine besprühtes Kinn mit einem Schwamm. Es verging ein
Sandstrich, in dem Deterio nur brabbelte und ächzte.
    Tjarka versuchte so flach wie möglich zu atmen, denn der Raum stank,
je mehr Deterios Leib sich bewegte.
    Â»Ich kann Euch … jedenfalls nur gratulieren«, begann Tjarka
stockend. »Auch ich habe … allen Grund, auf das Mammut wütend
zu sein. Sie haben sich nicht um die Kaninchen des Thostwalds gekümmert. Sie
waren zwar dort, aber sie haben lieber getanzt, sich … Karten legen lassen und
anderen Unfug getrieben, anstatt zu helfen. Bis es zu spät war. Auch ich bin
ihnen nach Warchaim gefolgt, um mich an ihnen zu rächen. Kann ich Euch also
irgendwie … behilflich sein?«
    Â»Nicht … nötig, mein Kind, nicht nötig. Ich habe alles …
Erforderliche längst veranlasst. Der Mann, der nicht geboren wurde, wird nicht
ruhen noch rasten, bis sie alle tot sind, es sei denn … es sei denn …«
    Â»Es sei denn?«
    Â»Es sei denn, sie

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