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Der Mann, der nicht geboren wurde

Der Mann, der nicht geboren wurde

Titel: Der Mann, der nicht geboren wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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von einem König ausgestellt wurden, der schon vor langer Zeit gestorben
ist, die aber dennoch nicht so ohne Weiteres widerlegt werden können. Diese
Vollmachten ermöglichen es mir, hier ein und aus zu gehen und die Wächter
herumzukommandieren. Ich habe den Zellenschlüssel. Ich nehme Euch mit, Ihr
zieht Euch diesen Umhang hier über und schlüpft mit mir durch die Lücken, die
ich schaffen werde. Aber Ihr müsst Euch über Folgendes im Klaren sein: Nur,
wenn Ihr jetzt mit mir flieht, haben wir drei – Leribin, Ihr und ich – eine
Chance, den Mann, der nicht geboren wurde ,
aufzuhalten und allen, die bis jetzt noch am Leben sind, das Leben zu retten!
Aber wenn Ihr flieht, kommt das einem Schuldeingeständnis gleich, und Ihr
werdet steckbrieflich verfolgt werden für den Rest Eures Lebens.«
    Rodraeg lachte bitter auf. »Na, großartig. Ihr wisst von dem Mann, der nicht geboren wurde ?«
    Â»Ich bin seit achtundvierzig Jahren hinter ihm her!«
    Â»Und wieso habt Ihr dann nach so langer Zeit ausgerechnet jetzt eine
Aussicht auf Erfolg?«
    Â»Weil Riban Leribin, einer der mächtigsten und bedeutendsten Magier,
die der Kontinent jemals gesehen hat, bereit ist, zusammen mit mir das Äußerste
zu wagen.«
    Â»Und wozu braucht Ihr dann mich?«
    Â»Ihr seid der Kopf des Mammuts . Ihr seid
das Nadelöhr, durch das wir an den argwöhnischen Mann herangelangen
werden. Und da Leribin und ich diesen Vorstoß womöglich mit dem Leben bezahlen
werden, brauchen wir Euch, um alles zu vollenden.«
    Â»Das ist doch Wahnsinn! So etwas kann niemand von mir verlangen!«
    Â»Stimmt. Aber überdenkt die Alternative. Ihr bleibt gefangen, und
alle, die Ihr liebt, werden zugrunde gehen. Kann man das von
Euch verlangen? Könnt Ihr Euch dafür entscheiden, bei
vollem Bewusstsein?«
    Erschöpft wie nach einem Lauf von einer Meile Länge sank Rodraeg auf
die Pritsche zurück. In seinem Kopf rasten die Gedanken, stießen miteinander
zusammen und erzeugten so Risse, Umwege, neue Möglichkeiten – aber nichts
Greifbares. Keine weiteren Möglichkeiten als die zwei angebotenen.
    Eine Stimme in Rodraeg sagte: Riban Leribin muss
mich hassen, sonst würde er mir so etwas nicht antun.
    Aber eine andere Stimme sagte: Warum zögerst du
eigentlich, Rodraeg Delbane? Hast du die Entscheidung nicht längst getroffen?
Als du mitgingst mit Naenn, allzu bereitwillig, ja geradezu begierig, die
unbehaglichen, niemals wirklich wohnlichen Zelte in Kuellen abzubrechen und
endlich etwas zu finden, in dem man sich mit Herz und Seele einrichten kann?
Das Mammut und das Haus des Mammuts . Der hölzerne, mit Igelstacheln bewehrte Schildkrötenpanzer eines
ausgestorbenen Landsäugetieres. Aber auch: ein Rettungsschiff für Wale,
Werwölfe, Riesen, Kaninchen, Magier, Stadtgardekommandanten,
Schmetterlingsmenschen, Klippenwälder, Deserteure, Waldmädchen, Ritterinnen,
Schemenreiter und anderes Strandgut des Kontinents. Mit Leben erfüllt und bis
zum Tode verteidigt.
    Er stand auf wie ein dreißig Jahre älterer Mann und schleppte sich
zum Gitter.
    Trenc Weraly wich unwillkürlich einen Schritt zurück, ein zittriger,
faltenvernarbter Greis in einer schlecht sitzenden und albern wirkenden
altmodischen Hauptstadtgardeuniform mit Heldenumhang. Er mochte an die hundert
Jahre alt sein, zumindest machte er diesen Eindruck. Wie ein
Bühnenschauspieler, der gegen Ende seines Lebens noch den jugendlichen Helden
gibt und das Publikum damit peinlich berührt. Rodraegs Entscheidung wurde
dadurch nicht gerade erleichtert. Mit einem Schaudern wurde ihm bewusst, dass
er nun seine gesamte Zukunft in die Hände eines hundertjährigen
Heldendarstellers und eines sich rückwärts entwickelnden Elfjährigen legte.
    Aber Weraly schloss auf. Zumindest besaß er tatsächlich einen
passenden Schlüssel.
    Von hinten näherte sich der vom Schein einer Fackel ins Riesenhafte
verzerrte Schatten eines kontrollgehenden Wachtpostens. Der Greis huschte vor
Rodraeg in die Deckung einer massiven Mauersäule; Rodraeg schloss seine
Zellentür so weit, wie es lautlos möglich war, und folgte Weraly. Dort
verblieben sie, bis der Posten vorübergeschlurft war.
    Â»Habt Ihr eigentlich daran gedacht, mir etwas zum Anziehen zu
besorgen?«, fragte Rodraeg und zupfte an dem Kerkerhemd, das nur die
schmutzigere und löchrigere Ausgabe eines knielangen

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