Der Mann, der nicht geboren wurde
Advokats Hjandegraan. In Skerb, während der
womöglich grauenvollsten Stunden seines Lebens, als er inmitten von Menschenkot
und Blutlachen sich einen Weg hatte bahnen müssen zwischen halb verwesten und
entstellten Hingerichteten, die an den StraÃenrändern zur Belustigung der
Bevölkerung aufgehängt waren. In den Sonnenfeldern während der groÃen Dürre,
als dort selbst Kinder elend zugrunde gingen. Sogar auf dem Ritterturnier von
Endailon hatte sich ein Teilnehmer vor aller Augen das Genick gebrochen. Und
jetzt beim Mammut . Schon allein der Terreker
Schwarzwachsauftrag hatte sich zu einem erschreckenden Gemetzel fehlentwickelt.
»Das alles kommt uns nicht in dieses Haus hinein«, sagte Rodraeg
entschlossen. » DMDNGW kann uns belagern und
provozieren, so viel er oder sie es wollen. Mit unserer ⦠Aufrichtigkeit werden
wir alles abschmettern. Und dein Kind soll hier geboren werden, so sicher und
behütet, als wäre dies der Larn.«
Sie erwiderte sein Lächeln nicht. »Manchmal denke ich, dass es
Wahnsinn ist, ein Kind in eine solche Welt zu setzen. Dann wieder kommt mir der
Gedanke: Wer anders als ein Kind soll Träger unserer Hoffnung sein? WeiÃt du,
was Estéron mir gesagt hat?«
»Nein.«
»Er sagte, als ich Zweifel hatte: âºDie Natur will dieses Kind. Sonst
würde es nicht geboren werden.â¹Â«
»Recht hat er. Glaube ich.«
Rodraeg traf den
Schmetterlingsmann unten in der Küche.
»Hat Riban sich schon irgendwie
geäuÃert?«
»Ja, Rodraeg. Er sagte, wir sollen versuchen, Warchaim zu halten. Er
will uns jemanden aus der Hauptstadt schicken, der uns beistehen kann. Einen
Mann namens Trenc Weraly. Hast du den Namen schon einmal gehört?«
»Noch nie.«
»Ich auch nicht. Es ist so schwierig geworden, mit Riban zu
kommunizieren. Er springt immer vom Hundertsten ins Tausendste. Zuerst glaubte
ich herauszuhören, dass Riban selbst nach Warchaim kommen wolle. Dann brabbelte
er wieder etwas von einer Gefahr, die in Aldava droht. Gerimmir sei gestern
Abend auf dem Bachmufest mit knapper Not einem Anschlag entkommen.«
»Ein Anschlag auf Gerimmir? Was ist da los, in Aldava?«
»Das ist es ja eben: Ich kann mir kein zusammenhängendes Bild
machen. Ribans Gedanken sind inzwischen zu hektisch und verworren für unsere
althergebrachte Art der Konferenz.«
Ein Schatten fiel über das Küchenfenster. Kurz darauf klopfte es an
der Tür. Da Rodraeg nur drei Schritte machen musste, um aus der Küche an die
Tür zu gelangen, kam er dem ebenfalls herbeieilenden Cajin zuvor.
Diesmal stand kein Gardist vor der Tür, sondern ein massiv gebauter
Klippenwälder, dessen Vollbart zu einem guten Dutzend Zöpfen geflochten war.
»Hallo«, sagte der Klippenwälder. »Ist Bestar Meckin aus Taggaran
da, oder falls immer noch nicht, könnt Ihr mir ungefähr sagen, wann mit ihm zu
rechnen sein wird?«
Für den Bruchteil eines Sandstriches hielt Rodraeg den Mann für
jenen Trenc Weraly, den Riban ihnen zur Hilfe geschickt hatte, doch dann machte
sein Gehirn einen Satz nach vorne und setzte aus mehreren
Informationsbruchstücken ein bestürzendes Gesamtbild zusammen. Gleichzeitig
setzte ein Gefühl absoluter Zugespitztheit ein. In diesem Moment stand alles
auf dem Spiel. Das Mammut , der Kreis ,
alles. Waren die Gardisten immer noch hier auf
Beobachtungsposten? Hatten sie den Mann bemerkt? Wussten sie, wer er war, so
wie Rodraeg glaubte zu wissen, wer er war?
»Ãhhh, mit Bestar Meckin kann ich leider nicht dienen«, sagte
Rodraeg beinahe ungebührlich laut, »aber wenn Ihr für einen Augenblick
eintreten wollt, kann ich nachfragen, wann mit ihm zu rechnen sein wird.«
Glücklicherweise nahm der Klippenwälder die Einladung an. So bekam
Rodraeg ihn so schnell wie möglich von der StraÃe weg. Aber falls jemand
gesehen hatte, wie er eintrat, durfte das folgende Gespräch auch nicht allzu
lange dauern.
Der Klippenwälder füllte in seiner muskulösen Breite und Bewaffnung
mit einem Schwert den gesamten Flur aus, als Rodraeg die Tür rasch schloss und
sich mit dem Rücken gegen sie lehnte. »Ihr seid Cruath Airoc Arevaun, vermute
ich?«
Cajin wich erschrocken in Richtung seines Zimmers zurück. Estéron
jedoch machte sich in der Küche mit einem leisen Hüsteln bemerkbar.
Der Klippenwälder lächelte. Sein grobes Gesicht war nicht
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