Der Mann, der nicht geboren wurde
sich
nicht selbst verteidigen können, zu schützen. Das gilt für die Natur. Das muss
aber auch für Riesen, Städte und Menschen gelten.«
»Du hast das Mammut richtig verstanden«,
pflichtete der Schmetterlingsmann ihm bei. »Du musst nun aber dennoch einen
Ausweg finden aus der Schlinge, die sich um unsere Hälse zusammenzieht.«
»Sag mal, Estéron. Ganz ehrlich. Du bist fast so alt wie ich und
Cajin zusammen. Mit all deiner Lebenserfahrung: Wie gefährlich schätzt du
unsere Lage ein?«
»Ganz ehrlich?«
»Ganz ehrlich.«
»Nun, ich denke, dass die Möglichkeit besteht, dass wir zu Beginn
des Nebelmondes, also in vierzehn Tagen, alle entweder tot sind oder im
tiefsten Kerker dieser Stadt schmachten. Dass das Haus des
Mammuts abgebrannt ist oder von der Garde abgeriegelt und versiegelt.
Dass der Kreis und Riban Leribin nicht mehr
existieren. Das alles muss nicht geschehen, aber es
liegt im Bereich des Möglichen. DMDNGW hat mitten im
Adelsbezirk einen Mord begangen. Selbst mir als Blindem ist nicht entgangen,
dass es dort von den Leibgardisten des Barons nur so wimmelt. Dort jemanden
umzubringen, und vor allem danach unbehelligt zu entkommen â das lässt auf
Fähigkeiten und eine Kaltblütigkeit schlieÃen, die wahrlich herausragend sind.
Dazu noch Brendos Geschichte von den Mordserien alle zwölf Jahre, und keine von
denen konnte jemals aufgeklärt werden. Das bringt mich zu dem Schluss, dass es
äuÃerst unwahrscheinlich ist, dass wir DMDNGW besiegen
können. Unter Umständen werden wir ihn überleben können â aber bezwingen wohl
kaum.«
»Danke für diese Einschätzung«, sagte Rodraeg ehrlich. »Du weckst
damit Trotz und Widerspruch in mir.«
»Dann soll es wohl so sein, Rodraeg. Dann soll es wohl so sein.«
5
Der Ermittler
Ein Tag, an dem sich nichts
ereignete, war ein quälender Tag für Rodraeg. Den ganzen restlichen 16., den gesamten 17. und die erste
Hälfte des 18. Blättermonds über tat sich nichts. Kein Gardist klopfte
an und gab Bescheid, dass man Arevauns Besuch verzeichnet und der Liste der
Verdächtigungen hinzugefügt hatte. Kein weiterer Mord geschah in der Nähe oder
etwas weiter entfernt. Kein Bestar, kein Eljazokad lieà sich erst blicken und
dann erschöpft bewirten, um die Geschichte eines Durchhaltens zu erzählen.
Die Ruhe tat Naenn und Estéron gut.
Cajin jedoch lief unruhig in den Zimmern auf und ab, fiebrig
aufgrund seines ungewohnten Hausarrestes. Und Rodraeg hatte in all diesen
Stunden das Gefühl, dass rings um ihn her akribisch am Untergang des Mammuts gewerkelt wurde, während der Sand seiner
Stundengläser nur sinnlos zerrann. Zwei weitere Tage, in denen Eljazokad und
Bestar nicht beigestanden wurde in ihrem Kampf jenseits von brennenden
Blumenbrücken. Zwei weitere Tage, in denen Hellas Borgondi einem Todesurteil
durch Strick oder Henkersaxt entgegenrutschte. Zwei weitere Tage, in denen DMDNGW die Figuren seines blutigen Spieles in Ruhe so
anordnen konnte, dass sie beim Fallen mit anklagenden Blicken auf das Mammut deuteten.
Tagsüber brannte die Sonne Löcher in den Himmel, die die Leere
dahinter nur umso mehr hervortreten lieÃen.
Nachts verschluckte das Dunkel die Schatten aller Heimlichtuer.
Erst am Nachmittag des 18. wurde der nächste Akt dieses
beinahe lautlosen Schauspiels eingeleitet. Wieder klopfte es an der Tür des Mammuthauses , und Rodraeg war froh darüber, dass er endlich
wieder gezwungen wurde zu reagieren.
Der Mann an der Tür war in einen Ãbermantel von unauffälliger Farbe
gekleidet. Er war vielleicht fünfzig Jahre alt, hatte halblange graue Haare
unter einem dreieckigen Hut, wie ihn gewisse Aristokraten und
Ruhestandsoffiziere in der Hauptstadt trugen. Seine Augen waren groÃ,
melancholisch und wässrig blau. »Einen schönen guten Tag wünsche ich. Seid Ihr
Rodraeg Delbane?«
»Der bin ich.«
»Mein Name ist Dilljen Kohn. Ich bin ein Sonderermittler der
Königin. Ich würde gerne ein zwangloses Gespräch mit Euch führen, um mir das
eine oder andere erklären zu lassen.«
Rodraeg lieà sich seine Ãberraschung nicht anmerken. Als er den Hut
gesehen hatte, hatte er in dem Fremden jenen Trenc Weraly vermutet, den Riban
ihnen aus der Hauptstadt senden wollte. Aber es war schon wieder ein anderer.
»Tretet ein. Wir können Euch nichts anbieten, was
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