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Der Mann, der nicht geboren wurde

Der Mann, der nicht geboren wurde

Titel: Der Mann, der nicht geboren wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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dieses mit übler
Ausstrahlung zu verseuchen.
    Anschließend wollte Rodraeg sich ausgiebig um Naenn kümmern, wurde
aber vor ihrer Zimmertür von Estéron abgefangen. »Wir müssen reden. Unten«,
sagte der Schmetterlingsmann, und Rodraeg folgte ihm in den Versammlungsraum.
    Â»Ich habe sie so weit beruhigen und sogar ein wenig betäuben
können«, erklärte Estéron dort, »aber es steht nicht gut um sie. Ihr Kind ist
überfällig. Bei uns Schmetterlingsmenschen sind Spätgeburten eher selten.
Meistens kommen Kinder eher fünf bis sieben Tage zu früh, weil sie geboren
werden möchten, die Sonne begrüßen und ihr Licht schmecken wollen. Was nun
Naenn angeht, sehe ich ein Problem. Wenn die Welt um eine Mutter herum zu
schreckenerregend ist, kann es vorkommen, dass ein Kind sich weigert, geboren
zu werden. Es stirbt dann im Mutterleib und reißt die Mutter mit sich in den
Tod. Das kommt selten vor, hat sich aber in Zeiten großer Umwälzungen schon
mehrmals ereignet. Die augenblickliche Situation hier in diesem Haus ist
geradezu albtraumhaft für Naenn. Sie fühlte sich schon vorher nicht sehr wohl
in der Stadt, allein unter Menschen, noch dazu von feindseligen
Steineschmeißern bedroht. Aber nun ist alles noch viel schlimmer geworden. Das
Haus wird ständig beglotzt. Ständig dringen Fremde hier ein und führen
Bedrohlichkeiten mit sich. Ständig ist das Mammut mit
dem eigenen Untergang konfrontiert. Nun wurde ihr auch noch ihr geliebter Garten
genommen, indem man ihn systematisch und skrupellos zerstörte. Der Kindvater,
der ihr eigentlich beistehen sollte, stiehlt sich aus seiner Verantwortung.
Riban, der wie ein Lehrvater für sie war, versinkt in Unzurechnungsfähigkeit.
Die Welt ist für Naenn ein Ort der Dornen und Brände geworden. Unter diesen
Umständen ist an eine herkömmliche Geburt nicht zu denken.«
    Rodraeg ließ den Kopf hängen. »Es ist sogar noch schlimmer.
Eljazokad hat … während seiner letzten Reise Hinweise darauf erhalten, dass …
Naenns Schwangerschaft möglicherweise … Resultat einer Vergewaltigung ist.«
    Â»Er irrt sich, wenn auch nicht ganz.« Rodraegs Kopf ruckte hoch.
»Körperlich gesehen hat keine Vergewaltigung stattgefunden. In rein
körperlicher Hinsicht ist das Kind tatsächlich ein Ergebnis der beiderseitigen
Leidenschaft. Aber etwas Seltsames liegt tatsächlich über dem Kind. Ein
magischer Schleier, der vielleicht auch ein magischer Schutz ist, vielleicht
aber auch eine magische Gewalteinwirkung. Naenn nennt es einen Göttersegen. Ich
würde es einen Einfluss, eine Bestimmung nennen, deren Richtung sich mir noch
nicht erschließt.«
    Â»Eljazokad vermutete, DMDNGW stünde für:
Dämmerung Mondlicht Dasco Naenn Geburt Wolfsschmetterling. Wobei Dasco der Name
eines Werwolfwesens ist, das wohl auf magische Weise bei Kindszeugungen
beteiligt war, das aber mittlerweile nicht mehr lebt. Zum Zeitpunkt von Naenns
Empfängnis jedoch war Dasco noch am Leben. Unsere Wege kreuzten sich wenige
Monde später auf schicksalhafte Weise.«
    Â»Dasco«, ließ Estéron sich auf der Zunge zergehen. »Der Wolf
Oscodidan. Ich beginne zu verstehen. Vier Einflüsse.
Das körperliche Begehren des Zeugers, die Feuersbrunst des Wolfs, Naenns eigene
Schmetterlingsmagie – und noch ein vierter Einfluss, der mir vage bekannt
vorkommt. Möglicherweise Riban Leribin. Rodraeg, wir müssen das Kind auf die
Welt holen, sonst wird es im Gefüge der vier wirkenden und zerrenden Kräfte
zerrissen!«
    Â»Wie stellen wir das an?«
    Â»Jetzt lassen wir Naenn noch ruhen. Sie wird jeden Moment des
Kräfteschöpfens brauchen können. Aber morgen früh, sobald der Markt öffnet,
schicken wir Cajin mit Bestar als Begleitschutz los, um eine Ingwerwurzel zu
kaufen. Damit leiten wir Naenns Wehen ein. Und binnen des morgigen Tages werde
ich den Wolfsschmetterling auf die Welt holen.«

9

Das Geborene
    Im Licht des frühen Morgens bot
Naenns ehemaliger Garten ein trostloses Bild. Rodraeg, von Unruhe und
Schlaflosigkeit früh aus dem Bett getrieben, stand inmitten von aufgebrochener
Erde und fast mannstiefen Löchern, entwurzelten Beerensträuchern,
untergepflügten Rüben, aus der Erde gerissenem Gestein, zertrampelten Kräutern,
zerrissenen Zierblumenblättern und zerhackten Salaten.
    So wie dieses vier mal vier

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