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Der Mann, der nicht geboren wurde

Der Mann, der nicht geboren wurde

Titel: Der Mann, der nicht geboren wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Schritte
messende Beet im Kleinen musste eine Welt aussehen, die tatsächlich von den
Göttern verlassen worden war. Dem Kontinent schien es noch deutlich besser zu
gehen als diesem Garten, aber dennoch brachte Rodraeg es nicht über sich, dem
auf dem Nachbarsgrundstück im Baum sitzenden Wachgardisten ein freundliches
Nicken zu schenken.
    Er krempelte sich die Ärmel hoch und ergriff einen Spaten. Dabei
spähte er immer wieder beinahe furchtsam zu Naenns mit einem Vorhang verhängten
Fenster hinauf, ob sich dort etwas rührte. Binnen einer halben Stunde schon
leisteten ihm Cajin und Bestar bei seinen Aufräum- und Löcher-Zuschütt-Arbeiten
Gesellschaft. Bei Naenn blieb alles ruhig, bis in dem Hof zumindest keine
Krater mehr klafften. Als es dann so weit war, dass der Markt eröffnete,
schickte Rodraeg Cajin und Bestar dorthin.
    Inmitten von Gedränge und Anpreisen, Schnattern und Rascheln,
Probieren und Verwerfen, den Düften, Poliertheiten und Zierden, unterwürfigen
Angeboten und frechen Überhöhungen des Rathausplatzmarktes ergatterten die
beiden eine prächtige Ingwerwurzel, welche die ungefähren Umrisse eines
Menschen hatte. Mit ihr kehrten sie nach Hause zurück.
    Dann begann der Schmetterlingsmann Estéron das Werk.
    Naenn, die ihr Zimmer schon gar nicht mehr verlassen wollte, musste
die Wurzel roh einnehmen. Was sie ausschied, wurde in Schüsseln gesammelt.
Cajin – von Estéron zu seinem sehenden Assistenten ernannt – erhitzte Unmengen
von Wasser auf der Kochstelle und trug es ebenso nach oben in Naenns Zimmer wie
den großen Badebottich aus dem Baderaum. Rodraeg und Bestar durften das Zimmer
unter keinen Umständen mehr betreten.
    Als Rodraeg zur Mittagsstunde einen Blick durch die von Cajin nicht
ganz geschlossene Tür erhaschte, wurde seine Vorstellung von Geburtenzimmern
gehörig durcheinandergewirbelt. Der ganze Raum war voller Rauch. Estéron war
kurz zu erkennen, nackt bis auf einen Lendenwickel und am ganzen Körper mit
magischen, unheimlich wirkenden Zeichen bemalt. Seine kleinen, wie vertrocknet
wirkenden Flügel an den Schulterblättern waren von fleischlich bleicher Farbe.
Als er Rodraeg bemerkte, wandten seine blinden Augen sich ihm zu und schienen
für einen Moment in gläsern hohle Tiefen zu führen. Mehr einem Dämon ähnelte
der Schmetterlingsmann nun als einem Menschen. Rodraeg floh nach unten hin zu
Bestar. Dann lauschten sie beide eingeschüchtert dem gutturalen Gesang, der von
oben herniederschallte.
    Nach einigen Sandstrichen erschien ein verschwitzter,
gesträubthaariger und verschrecktäugiger Cajin bei ihnen im Versammlungsraum.
»Estéron sagt, er könnte noch mehr magische Unterstützung gebrauchen. Aber
nicht Dilljen Kohn. Und auch nicht Hebezie oder eine andere einem einzelnen
Gott geweihte Person, damit das Kind nicht in eine einzelne Richtung gezerrt
und beeinflusst werden kann. Ich habe die Dreimagier vorgeschlagen. Er hat
gesagt, ihr sollt sie zu holen versuchen. Ihr beide könnt hier zurzeit ohnehin
nichts weiter ausrichten.«
    Â»Wir machen uns sofort auf den Weg.« Rodraeg nahm Bestar am
Ellenbogen und führte ihn aus dem Haus. »Hattest du schon Kontakt mit den
Dreimagiern, oder hat das alles Eljazokad erledigt?«, fragte er den
Klippenwälder.
    Â»Das hat alles Eljazokad erledigt. Was macht Estéron
da oben, Rodraeg? Ist das überhaupt seine Stimme, die
da singt?«
    Â»Ich bin einfach nur froh, dass er bei uns ist. Wie sollten wir
Nichtschmetterlingsmenschen jemals hoffen zu begreifen, wie man einen
Schmetterlingsmenschen zur Welt bringt?«
    Rodraeg hatte sein Schwert – das Schwert des Kindsvaters – nicht
dabei, dazu hätte er erneut nach oben laufen müssen, aber solange Bestar
Skergatlu bei sich führte, fühlte er sich in dieser Stadt, in der selbst
Tempeläbtissinnen Attentaten zum Opfer fielen, sicher genug.
    Unterwegs fragte ihn Bestar, dessen Gedanken wohl in ähnlichen
Bahnen verliefen wie Rodraegs: »Wie kommt es eigentlich, dass alle
Priesterleute Namen haben, die genauso anfangen wie ihre Götter? Hebezie mit
›He‹ wie Helele. Und die Bachmufrau, die gestern ermordet wurde, fing doch auch
mit ›Ba‹ an.«
    Â»Ja. Der Kjeerpriester, der mir mit meinem Husten geholfen hat, hieß
Kjabram. Das liegt daran, dass das nicht ihre echten Namen sind, sondern
Ordensnamen, die ihnen verliehen werden,

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