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Der Mann, der nicht geboren wurde

Der Mann, der nicht geboren wurde

Titel: Der Mann, der nicht geboren wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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beschleunigt hat. Kannst
du sie zu mir bringen, ich möchte kurz mit ihr sprechen.«
    Mewis Moju versuchte sich wieder bemerkbar zu machen. »Ich kann
nicht dulden, dass Ihr die Abläufe in meiner Herberge durcheinanderbringt …«
    Â»Das wäre alles«, sagte Estéron, immer noch freundlich. »Ich danke
Euch sehr.«
    Mewis Moju schwitzte nun am ganzen Körper. Dadurch ging ein
durchdringend säuerlicher Geruch von ihm aus, den auch etliche Duftessenzen
nicht bemänteln konnten. Er blickte hilfesuchend zu den Gardisten hinüber, doch
Leutnant Adsar winkte ihn nur nickend hinfort. Tjarka stieg inzwischen mit
angewidertem Gesicht durch eine Landschaft aus Kissen, Glutbecken, Tischchen
voller Naschwerk und hingegossenen Leibern hindurch. Mit Entsetzen registrierte
sie, dass die Hand eines der Mädchen im Hosenschlitz eines behaglich
zurückgelehnten Kunden steckte. Etwas aus dem Tritt gekommen, erreichte Tjarka
endlich die von Estéron bezeichnete Frau. »Kommt Ihr bitte? Rasch!«
    Die Frau fügte sich. Sie war aschblond, üppig, um die dreißig und
schämte sich ihrer ganz und gar nicht ausreichenden Bekleidung. Bestar wusste
nicht, wo er hinsehen sollte. Sein Gesicht hinter dem wuchernden Bart war
erstaunlich rot.
    Die Frau machte einen angedeuteten Knicks. Ihr Kinn zitterte vor
Anspannung. »Ja?« Tjarka drängte an ihr vorbei bis hinter Bestar.
    Â»Mein Kind«, sprach Estéron die Aschblonde an. »Du trägst etwas mit
dir herum. Eine tief reichende Sorge. Möchtest du dich ihrer nicht entledigen,
indem du sie einem alten, blinden Schmetterlingsmann anvertraust?«
    Â»Ich … ich … kann … nicht. Ich … darf nicht.«
    Â»Dein Arbeitgeber wird nichts dagegen haben, dass du dich von einer
Bürde befreist, die auch ihn und sein Haus niederdrückt.«
    Â»Das ist nicht … das Problem. Es geht nicht um mich. Aber ich darf
doch nicht … jemanden belasten, nur weil ich mir Sorgen mache.«
    Â»Gerade wenn du dir Sorgen machst, solltest du diese teilen.
Vielleicht können wir helfen.«
    Adsar musterte den Schmetterlingsmann genau. Da war etwas
beunruhigend Manipulatives in dessen Stimme, aber dennoch zeichnete er der Frau
keine Worte vor. Was sie sagte, schien wirklich aus ihr selbst zu entspringen.
    Â»Es … geht um Scela«, brach es schließlich aus der Frau hervor. »Sie
ist sehr seltsam geworden, und ich glaube, es fing in der Bachmunacht an.
Vorgestern wollte sie sich das Leben nehmen, indem sie sich mit Tonscherben die
Arme aufschnitt. Sie will nicht mehr arbeiten, sagt, sie ist krank. Ich mache
mir wirklich Sorgen um sie.«
    Â»Wo ist sie jetzt?«
    Â»Oben, in Zimmer vier. Sie hat keinen Kunden, seit zwei Tagen schon
nicht. Herr Moju wird schon ungehalten.«
    Â»Ich übe keinen Druck aus!«, beeilte sich Mewis Moju von weit hinten
zu versichern. Mit gespitzten Ohren überwachte er aus sicherer Distanz alles,
was gesprochen wurde.
    Estéron legte der eingeschüchterten Aschblonden beide Hände zärtlich
auf die Schultern. »Er spricht die Wahrheit«, sagte er, und seine Augen waren
wie wolkenverschleierte Monde. »Er übt keinen Druck aus.« Dann winkte er Bestar
heran, damit der ihn führen konnte. Auch Tjarka und die Gardisten folgten, die
Geländertreppe hinauf auf die Galerie der Zweisamkeitszimmer. Vor der Nummer
vier blieb Bestar stehen, und Estéron legte seine Hände gegen das schwere,
teure Holz. »Scela? Mein Name ist Estéron. Ich komme aus dem
Schmetterlingshain. Ich bin hier, um dich von deinem Gewicht zu befreien.«
    Â»Keine Behauptungen aufstellen, bitte«, zischte Leutnant Adsar. »Nur
Fragen stellen! Sonst kann ich ihre Aussage nicht werten.«
    Estéron nickte. »Scela? Ich habe Freunde bei mir. Wir sind insgesamt
zu sechst. Das, was dich bedroht, kann gegen so viele nicht bestehen. Es
handelt sich somit um deine vielleicht einzige Möglichkeit zur Freiheit.«
    Es verging eine gewisse Zeit. Adsar wurde schon unruhig und wollte
einen der Gardisten hinunterschicken, um von Mewis Moju den Hauptschlüssel zu
holen, da wurde die Tür von innen aufgeschlossen. Scela war deutlich jünger als
die Aschblonde, wahrscheinlich erst knapp volljährig. Sie hatte dunkle Haare,
ein spitzes Gesicht, tief reichende Augenringe und das fahrige Gehabe einer
Trinkerin oder sonstig Drogensüchtigen. Als sie an dem

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