Der Mann der nicht zu hängen war
mehr sehen, dafür aber um so lauter brüllen und wild um sich schlagen. Er haßt auch diese typische Blasmusik, die gegrölten Trinklieder, und vor allem haßt er das Bier.
Endlich kommt er am vereinbarten Treffpunkt an. Zwei Männer warten dort auf ihn. Beide blicken ziemlich finster drein, besonders der Festwirt des Zeltes, in dem diese unglaubliche Geschichte vor einer halben Stunde begann.
»Gut, daß Sie so schnell gekommen sind, Herr Kommissar. Kommen Sie mit! Ich habe den Toten in meinen Wohnwagen bringen lassen. Welch ein Wahnsinn! Es ist kaum zu glauben! Einfach Wahnsinn!«
Wortlos folgt Kommissar Brenner dem fassungslosen Wirt. Der zweite Mann, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten und geschwiegen hatte, erklärt nun relativ ruhig:
»Ich bin Arzt. Ich saß im Bierzelt, als es geschah. Der Mann brach plötzlich am Nebentisch zusammen. Ich war sofort bei ihm. Doch er war bereits tot. Zuerst dachte ich — ja, an einen Herzinfarkt oder an einen Schlaganfall. Aber der Mann ist vergiftet worden, und zwar mit Zyankali.«
Kommissar Brenner weicht erschrocken zurück: »Sind Sie sicher?«
»Absolut sicher, Herr Kommissar. Sie werden es gleich selbst sehen.«
Die drei Männer gehen in den Wohnwagen, gleich hinter dem Bierzelt. Auf dem Bett liegt ein toter Mann, blond, etwa dreißig Jahre alt.
»Sehen Sie? Die blaue Verfärbung der Lippen ist ganz typisch. Da gibt es gar keinen Zweifel. Außerdem — der eindeutige Geruch aus dem Mund: Das ist Zyankali.« Der Kommissar ist völlig konsterniert. Er kritzelt in seinem kleinen Notizbuch. Normalerweise wird er beim Oktoberfest zu Schlägereien gerufen. Manchmal gibt es auch Messerstechereien, ganz selten wird mal geschossen. Aber Mord mit Zyankali — das hat er noch nie erlebt. Die Sache gefällt ihm ganz und gar nicht. So etwas paßt einfach nicht hierher, zu einem solchen Volksfest. Es ist ein viel zu »raffinierter« Mord, viel zu planvoll für diesen Ort.
»Weiß man schon, um wen es sich bei dem Toten handelt?«
»Ja«, antwortet der Wirt, »ich habe mir erlaubt, seine Papiere durchzusehen. Er heißt Fritz Eisenberger. Ist 25 Jahre alt. Ja, mehr weiß ich auch nicht.«
»Saß er nicht mit Freunden am Tisch?«
»Nein. Ich habe sogar durch den Lautsprecher fragen lassen, ob ihn irgend jemand kennt, und ich habe gebeten, man solle sich bei mir melden. Es hieß nur, es wäre ihm schlecht geworden. Und anscheinend war er allein.«
»Und die Bedienung?« fragt der Kommissar weiter.
»Ich habe schon das ganze Personal gefragt. Auch die Musiker. Keiner hat etwas bemerkt. Wissen Sie, bei dieser Menschenmenge ist es auch kein Wunder. Da geht alles drunter und drüber!«
In diesem Augenblick stürzt ein Polizist in den Wohnwagen: »Herr Kommissar! Man hat mir gesagt, daß Sie hier sind. Sie müssen sofort mitkommen! Beim Stehausschank gegenüber ist gerade ein Mann zusammengebrochen! Er ist tot! Es war zufällig ein Arzt in der Nähe und... und der behauptet, daß der Mann mit Zyankali vergiftet worden ist!«
Kommissar Ludwig Brenner stößt einen Fluch aus. Das tut er sehr selten, aber in diesem Fall verliert er fast die Beherrschung. Heute abend, am 3. Oktober 1978, geschieht hier etwas Unvorstellbares: Irgendein Mörder macht sich einen Spaß daraus, wahllos tödliches Gift in die Bierkrüge ahnungsloser Menschen zu gießen! Eine Sekunde genügt dafür. Wenn dann das Opfer den nächsten Schluck trinkt und daran stirbt, ist er schon längst über alle Berge, verschwunden in der fröhlichen Menschenmenge. Ein Wahnsinniger! Der Mann muß sofort gefaßt werden, bevor er noch einmal zuschlägt. Denn, und davon ist Kommissar Brenner fest überzeugt, er wird wieder zuschlagen, solange sein Vorrat an Zyankali eben reicht! Hier ein paar Tropfen, da ein paar Tropfen — eine mörderische Schweinerei!
Einige Minuten später erlebt also Kommissar Brenner hinter dem Stehausschank genau die gleiche Szene wie vorher im Wohnwagen des Festwirtes: ein Mann liegt auf einer Bahre — tot. Auch er ist blond und um die 25 Jahre alt. Seine Lippen sind blau verfärbt, und aus dem Mund kommt der typische Geruch nach bitteren Mandeln. Neben dem Toten stehen wiederum ein Wirt und ein Arzt. Doch gibt es hier, bei diesem zweiten Fall, einen Unterschied: eine vierte Person, ein junger, etwa zwanzigjähriger Mann, kniet über dem Toten.
»Wer sind Sie?« spricht ihn Brenner an. »Was machen Sie hier? Sind Sie vielleicht der Bruder oder ein Freund?«
»Nein, aber... dieser Mann
Weitere Kostenlose Bücher