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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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zu seiner Maschine und startet. Bald erreicht er den Gipfel. Das Pferd ist noch da, aber es steht nicht mehr. Bewegungslos liegt es auf der Seite.
    »Mein Gott, es ist tot!«
    Doch als Billy direkt über das Pferd hinwegfliegt, zuckt es zusammen und richtet sich mühsam auf. Die Hufe rutschen auf dem Eis, das arme Tier kann sich kaum noch aufrecht halten.
    »Gott sei Dank, es ist erschrocken, sonst wäre es wohl eingeschlafen und erfroren. Warte, mein Lieber, gleich gibt’s was zu fressen. Das wird dir gut tun!«
    Billy peilt den Gipfel an, drosselt den Motor und schwebt langsam auf das Plateau zu. Er öffnet die Tür, nimmt das Futterbündel und wirft es hinunter, genau über dem Pferd. Dann schiebt er den Gashebel nach vorn und zieht die Maschine in die Höhe. Doch als er wendet, um noch einmal nachzusehen, bleibt ihm fast das Herz stehen. Verdammt! Das Bündel hat die winzige Plattform verfehlt und hüpft nun den vereisten Berg hinunter.
    Aber Billy gehört nicht zu den Menschen, die leicht aufgeben. So schnell es die kleine Piper nur schaffen kann, fliegt er zurück zu seinem Platz. Dort hat die Geschichte von dem Pferd auf dem Berg in der Zwischenzeit in allen Hangars und Büros die Runde gemacht. Billy muß verrückt geworden sein! Da landet er, springt aus der Maschine, rennt auf das Feld, wirft sich auf die Knie und schneidet wieder Gras mit seinem Taschenmesser, als gälte es, vor einem drohenden Gewitter die Ernte zu retten. Nur noch eine halbe Stunde bis zum Einbruch der Dunkelheit! Er flitzt wieder zu seiner Maschine, ruft noch: »Ich zahle den Treibstoff!« und ist schon wieder in der Luft.
    Als die Piper den Berg erreicht, ist die Sonne gerade hinter dem schneebedeckten Gipfel verschwunden. In ihren letzten Strahlen erscheint das Pferd als dunkle Silhouette und wirft einen langen Schatten auf die kleine Plattform. Mein Gott, es sieht aus wie ein Skelett, denkt Billy, und beginnt aufs neue sein Manöver: Geschwindigkeit drosseln, aber nicht zu sehr, Vorsicht, es ist Wind aufgekommen. Steuerknüppel ziehen, jetzt bin ich genau in der Achse. Cockpittür auf! Verdammt, diese Kälte. Mindestens zwanzig Grad unter Null! Ein Wunder, daß das Tier so lange überlebt hat. Das Bündel mehr nach rechts werfen. Jetzt!
    Billy zieht die Maschine wieder hoch, schaut zurück und ist außer sich vor Freude: »Es hat geklappt! Ich hab’s geschafft!«
    Das Bündel liegt tatsächlich nur ein, zwei Meter neben dem Pferd. Wirklich eine fliegerische Meisterleistung! Aber daran denkt Billy jetzt nicht. Er sieht nur, wie das erschöpfte Tier rutschend ein paar Schritte auf dem harten Schnee vorwärts geht. Gleich hat es das Bündel erreicht — und es frißt. Billy fliegt noch einmal daran vorbei und macht ein Foto von seinem Pferd.
    Am nächsten Morgen und auch an den folgenden Tagen steht die ganze Gegend Kopf. Das Bild des Pferdes auf dem Weißen Berg erscheint auf den Titelseiten der Lokalpresse. Ein Journalist hat sich einen märchenhaften Namen für das Tier ausgedacht: Pegasus, das geflügelte Roß. Denn um den Gipfel zu erreichen, mitten im Winter, muß es ja geflogen sein.
    Es wird sofort eine Solidaritätskampagne organisiert. Die »Aktion Pegasus« läuft an. Schulkinder und Vereine, alle Welt spendet Geld! Und nach einigen Tagen hat Billy schon so viel zusammen, daß er, wenn nötig, bis zum Frühjahr den Treibstoff für die Piper bezahlen und mehr Heu kaufen könnte, als ein Pferd je zu fressen vermag.
    Wem aber gehört dieses Pferd? Bis jetzt hat sich niemand gemeldet. Und vor allem: Wie ist es nur da hinaufgekommen? Niemand kann es sich erklären. Eines jedenfalls ist klar: Mitten im Winter ist es unmöglich, das Tier von dem Gipfel herunterzuholen. Also fliegt Billy Tag für Tag, Woche für Woche, und er schafft es tatsächlich, das Pferd am Leben zu erhalten. Mittlerweile hat er auch keine Schwierigkeiten mehr, die Heuballen gezielt abzuwerfen. Bei völliger Windstille fliegt er manchmal sogar bis auf fünf Meter an die Plattform heran. Das Pferd hat auch keine Angst mehr. Im Gegenteil, sobald es das Brummen der Piper hört, hält es freudig nach der Maschine Ausschau. Das weiß Billy. Er weiß aber auch, daß Pegasus sehr alt sein muß — sicher schon 25 Jahre, wenn nicht noch älter. Wie kann das Tier nur den Aufstieg geschafft haben? Das ist einfach unvorstellbar. Und warum ist es überhaupt hinaufgeklettert, mitten im Winter, auf viertausend Meter? Anfang März kommt Pegasus trotz der schrecklichen

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