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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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stehen! Flieht doch endlich aus dieser verdammten Stadt!« Dann besteigt er ein Boot und verläßt das Inferno.
    Mittwoch, 7. Mai. Der Gouverneur in der dreißig Kilometer entfernten Hauptstadt bekommt zwei Nachrichten, die ihn nun doch ein wenig beunruhigen. Die erste ist ein Funkspruch von einem Schiff: »Soeben Sondierungen ausgeführt. STOP. Unterwasserkabel zerstört. STOP. Laut Bodenkarten 2660 Meter Tiefe an der Stelle. STOP. Gerade 5000 Meter gemessen. STOP. Halten es für unsere Pflicht, es Ihnen mitzuteilen. STOP. Thirion, Kommandant.«
    Die zweite ist ein Telegramm von Bürgermeister Fouche: »Kann Bevölkerung nicht mehr beruhigen. Panik steigt. STOP. Kommen Sie dringend. STOP. Fouche.« Kurz darauf die Antwort des Gouverneurs: »Ich komme.«
    Und seiner Frau erklärt er: »Ich wünsche, daß du mich begleitest. Das wird einen guten Eindruck machen und diese Hitzköpfe endlich beruhigen.«
    Also begibt sich Gouverneur Moutet mit seiner Frau an Bord eines Schiffes, zusammen mit einer sogenannten »wissenschaftlichen Kommission«, bestehend aus einigen Lehrern, die er für Experten hält. Außerdem nimmt er noch einen Oberst und dessen Gattin mit — das kann nie schaden. Eine solche »Delegation« muß ja die Gemüter besänftigen!
    Und so ist es auch. Es macht tatsächlich einen »guten Eindruck«, als sie so am Kai anlegen und dann lächelnd und grüßend durch die Straßen der Stadt stolzieren. Endlich also ist der Gouverneur da, mit Frau sogar und einer Gruppe von Wissenschaftlern — die erwartete Rettung. Und Monsieur Landes, der Lehrer am Gymnasium, hat nichts mehr zu sagen. Schließlich sind jetzt Experten an Ort und Stelle. Und am selben Tag veröffentlicht der Journalist folgendes Kommuniqué besagter Kommission:
    »Für die Stadt und die Dörfer der Umgebung besteht nicht die geringste Gefahr. Der Vulkan hat die Lava, die Steinbrocken, die Asche, die zum Ausbruch kommen mußten, schon längst ausgestoßen. Es ist nichts mehr zu befürchten. Die Kommission wird den Berg dennoch weiterhin beobachten und die Bevölkerung ständig auf dem laufenden halten.«
    »Was soll das heißen: Der Vulkan hat schon alles ausgestoßen!« erregt sich der arme Lehrer im Rathaus. »Was wissen die denn schon davon? Haben sie es vielleicht überprüft? Keiner hat sich getraut, auch nur bis zum Fuß des Vulkans zu gehen. Das einzige, woran sie alle denken, ist diese verfluchte Stichwahl am Sonntag! Ist doch klar! Wenn die Opposition gewinnt, dann können sie ihre Koffer packen! Herr Bürgermeister, ich bitte Sie, es ist doch Ihre Stadt! Sie müssen die Bevölkerung retten. 32 000 Menschen, Herr Bürgermeister!«
    Der Bürgermeister schweigt. Vor dem Gouverneur wagt er nicht, dem Lehrer recht zu geben. Und außerdem, er hat jetzt auch nichts mehr zu sagen.
    Am Abend dieses 7. Mai sind der Gouverneur mit Gattin und der Oberst mit Gattin bei dem Bürgermeister und seiner Gattin zu einem festlichen Mahl eingeladen. Die »wissenschaftlichen Experten« sind selbstverständlich auch dabei. Allerdings ohne Gattinnen.
    Der Journalist sitzt an seiner Maschine und schreibt, was der Gouverneur ihm diktiert hat, Hochwürden Clement erteilt die Absolution im Schnellverfahren, der Lehrer sitzt zu Hause, angewidert von den politischen Machenschaften, und plant seine Abreise für den nächsten Tag. Joseph Jean-Marie sitzt auch. Er braucht nicht beruhigt zu werden. Denn er weiß von nichts...
    Am Donnerstagmorgen, dem 8. Mai, wird er um 7 Uhr 50 von einem brennend heißen Luftstrom geweckt, der durch das Guckloch seiner Zelle eindringt. Beißender Schwefelgeruch. Sekunden später ein unbeschreiblicher Lärm! Es donnert und grollt und brummt, der Boden bebt, die Wände wackeln.
    Joseph Jean-Marie schreit, schlägt an die Eisentür, brüllt: »Macht auf! Macht doch endlich auf! Ich verbrenne! Ich ersticke!«
    Doch niemand antwortet.
    Drei Tage lang brüllt er und schlägt gegen die Tür. Erst am vierten Tag kommt jemand zu ihm hinunter. Soldaten brechen die Tür auf und tragen ihn nach oben. Dort gibt es nichts Lebendiges mehr. Nichts als verkohlte Körper überall. Der Bürgermeister, der Journalist, der Pfarrer, der Lehrer, der Kandidat der Opposition, der Kandidat der Regierungspartei, die 802 Unabhängigen, die Wähler für die so entscheidende Stichwahl, die 32 000 Einwohner — alle sind tot. Der Gouverneur und seine wissenschaftliche Kommission sind im Meer umgekommen. Es fing zu kochen an, als der Vulkan wie eine Atombombe

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