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Der Mann der nicht zu hängen war

Der Mann der nicht zu hängen war

Titel: Der Mann der nicht zu hängen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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nur für die Fliegerei und machte sich nicht viele Gedanken über die gefährlichen politischen Ereignisse, die sich in den Jahren seit 1933 überstürzten. Nicht etwa daß es ihm gleichgültig gewesen wäre, er schwebte nur ein wenig über den Wolken. Jedenfalls bis März 1938. Da begriff er plötzlich, daß Schreckliches bevorstand. Doch selbst in seinen wildesten Alpträumen wird Roman Bielski nie ein Eindruck des Schicksals erschienen sein, das der Krieg für ihn bereithielt.
    Hitler marschiert in Österreich ein. Noch sechs Monate, vielleicht ein Jahr, dann wird er Polen bedrohen. Auf einmal hat Roman Bielski das Handlungsschema des deutschen Diktators verstanden, und sein Herz beginnt für Polen zu schlagen, obwohl er sich kaum an seine ursprüngliche Heimat erinnern kann. Es drängt ihn »nach Hause« zu fliegen!
    Und so entschließt er sich, mit seiner kleinen Privatmaschine, die er sich als Fluglehrer im Aero-Club hält, Frankreich zu verlassen. Über die Schweiz, Österreich, die Tschechoslowakei will er nach Polen fliegen. In seinem Land wird er sich dann sofort zur Luftwaffe melden.
    Er ist jetzt kurz vor Wien. Und irgend etwas mit der Maschine scheint nicht ganz in Ordnung zu sein. Wahrscheinlich kein ernster Schaden, aber trotzdem muß er die Reise unterbrechen, um die Maschine überprüfen zu lassen. Bald landet er auf dem Flughafen der österreichischen Hauptstadt, wo ein seltsames Abenteuer, das sein Leben bestimmen wird, auf ihn wartet.
    Roman überläßt seine Maschine den Mechanikern und fährt in die Stadt, um sich ein Hotelzimmer zu suchen. Er fühlt sich unwohl hier in der Fremde, in diesem Land, wo überall Naziuniformen auftauchen. »Gott sei Dank bleibe ich nur einen, höchstens zwei Tage hier!« tröstet er sich, als er durch die stillen, tristen Straßen Wiens irrt. Die Atmosphäre ist bedrückend.
    Als er endlich ein Hotelzimmer findet, ist es zwar noch früh am Abend, aber »Wien bei Nacht«? Nein, dann schon lieber gleich schlafen gehen und hoffen, daß die Mechaniker bis morgen die Störung behoben haben. Zeitig am nächsten Tag macht sich Roman auf den Weg zum Flughafen. Er denkt nur an eines: Hoffentlich ist seine Maschine schon startbereit, damit er so schnell wie möglich dieses Land verlassen kann, wo das Unbehagen so schwer drückt wie dichter Nebel.
    Ganz in Gedanken, achtet er nicht auf die Szenerie, die sich vor ihm auf der Straße abspielt. Er sieht auch nicht den Mann, der rennt, als ginge es um sein Leben. Und dieser Mann, der blind auf ihn zuläuft, aber nur nach hinten schaut, sieht Roman ebenfalls nicht. Beide Männer stoßen so heftig zusammen, daß Roman zu Boden stürzt. Der »Flüchtling« rennt sofort weiter, ohne sich im geringsten zu entschuldigen, nicht einmal mit einer flüchtigen Geste.
    Roman ist sofort wieder auf den Beinen, und wutentbrannt läuft er diesem Flegel nach. Sekunden später hat er ihn auch eingeholt und packt ihn zornig am Kragen. Der Mann starrt ihn an, mit weit aufgerissenen, verstörten Augen. Er zittert am ganzen Körper, ist unfähig, auch nur ein einziges Wort herauszubringen. Es ist ein recht kleiner Mann, schwächlich, kümmerlich, ja fast ärmlich. Was ist nur mit ihm los? Sein Gesicht ist totenbleich und schweißüberströmt. Roman weiß auf einmal nicht mehr so recht, was er sagen soll. Sein Zorn erlischt angesichts dieser Angst.
    Schließlich stammelt der kleine Mann einige Sätze in deutscher Sprache, hastig, nach Luft ringend. Roman versteht kein Wort, aber eins ist ihm klar: Dieser Mann hier, den er immer noch am Kragen festhält, dieser Mann steht Todesängste aus. Roman schüttelt ihn, fragt ihn auf französisch: »Sagen Sie mal, hat man Ihnen denn nie beigebracht, sich zu entschuldigen?«
    Als er Roman französisch sprechen hört, beruhigt sich der kleine Mann schlagartig. Seinerseits packt er jetzt Roman am Kragen und flüstert ihm ins Ohr: »Gestapo! Gestapo!«
    Roman reagiert sofort. Er läßt den Mann los und gibt ihm ein unmißverständliches Zeichen. »Kommen Sie mit.« Einige Minuten später sitzen die beiden Männer in Romans Hotelzimmer. Still starren sie auf die Tür und horchen. Bestimmt werden die Männer der Gestapo gleich an die Tür trommeln und brüllen: »Aufmachen!«
    Sie warten — zwei Minuten, drei, fünf Minuten. Sie müßten doch schon längst da sein. Aber es kommt niemand. Keiner hat sie ins Hotel hineingehen sehen. Nach einer Weile atmen sie auf. Die unmittelbare Gefahr ist zunächst einmal gebannt.

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