Der Mann der nicht zu hängen war
explodierte. Auch die beiden Gattinnen, die einen so guten Eindruck gemacht hatten, verbrannten. Der Lehrer starb in seinem Haus, der Bürgermeister im Rathaus, der Pfarrer in seiner Kirche und der Wärter im Gefängnis. Alle starben, bis auf Joseph Jean-Marie, den Dieb, den einzigen Gefangenen der Stadt, den einzigen Bürger, der nicht über jeden Zweifel erhaben war.
»Vor allem keine Panik vor der Durchführung der Wahl! Danach können Sie schauen, wie sie alle da raus kommen!« hatte der Minister in Paris befohlen. Auch sein Name muß hier genannt werden: Er hieß Decrais. Kolonialminister Decrais.
So ist die Stadt Saint-Pierre auf der Insel Martinique am Donnerstag, dem 8. Mai 1902, untergegangen. An Himmelfahrt. Zwischen 7 Uhr 50 und 7 Uhr 52. Zwischen zwei Wahlsonntagen. 32 000 Tote für eine Stichwahl. Ironie des Schicksals: Der einzige Überlebende, der Gefangene Joseph Jean-Marie, hätte ohnehin nicht wählen dürfen.
Pegasus — das Pferd auf dem Gipfel
B illy ist so überrascht, daß er fast seinen Kaugummi verschluckt. »Das gibt’s doch nicht!«
Billy fliegt gerade mit einem kleinen Postflugzeug über den Rocky Mountains — und er weiß ganz genau, daß der Gipfel, den er soeben überflogen hat, über viertausend Meter hoch ist, also weit über der Vegetationsgrenze. Und im Februar gibt es dort weit und breit nur Schnee und Eis. Kein Lebewesen, weder Mensch noch Tier, besteigt den Gipfel zu dieser Jahreszeit! Billy kennt die Bergspitze sehr gut. Selbst im Sommer ist der Anstieg — dreizehn Kilometer lang — sehr gefährlich. I!11 In diesem Augenblick ahnt Billy noch nicht, daß er sich in ein Abenteuer stürzt, das neun Wochen und drei Tage dauern wird.
Es herrscht gute Sicht, Windstille. Billy ist außerdem ein ausgezeichneter Pilot. Also wird er jetzt versuchen, so langsam wie möglich dicht über den Gipfel zu fliegen. Er verringert die Geschwindigkeit auf 100 Meilen.
Der Gipfel kommt näher, wird immer größer, scheint buchstäblich in das Cockpit einzudringen — und verschwindet wieder hinter der Maschine.
Dieses Mal hat Billy es ganz deutlich gesehen. Es ist unglaublich, unvorstellbar, aber es ist so: Da steht ein Pferd auf diesem Viertausender, mitten im Winter, und es bewegt sich.
Billy fliegt dreimal darüber hinweg, jedesmal etwas tiefer, kreist wie ein Adler über dem Gipfel. Ein kleines, kaum ein paar Quadratmeter großes, vereistes Plateau. Und da steht nun das Pferd. Wie lang mag es schon dort gefangen sein? Es sieht alt und ausgemergelt aus, läßt den Kopf hängen. Und immer wenn das Flugzeug kommt, springt es erschrocken zur Seite. Offensichtlich ist es am Ende seiner Kräfte.
Was macht ein Pferd hier oben? Das ist so verrückt, daß es ihm kein Mensch glauben wird. Wahrscheinlich ist es vor den letzten großen Schneefällen hinauf geklettert. Aber das wäre dann ja schon mindestens zwei Wochen her! Das gibt’s einfach nicht.
Als Billy auf seinem 25 Kilometer entfernten Flugplatz landet, rennt er sofort in das Büro des Direktors: »Boss, ich habe ein Pferd auf dem Gipfel des Weißen Berges gesehen!«
Keine Reaktion vom Chef. Er kneift nur etwas die Augen zusammen.
»Boss, ich spinne nicht! Es ist kein Witz!«
»Billy, ich bitte dich! Geht’s dir nicht gut? Vielleicht brauchst du ein paar Tage Urlaub? Du hattest auch zu viele Einsätze in der letzten Zeit.«
»Unsinn! Ich bin völlig o.k.! Wenn Sie mir nicht glauben wollen, meinetwegen! Auf alle Fälle fliege ich gleich wieder zurück und werfe dem alten Gaul etwas zu fressen hinunter. Und ich mache auch ein Foto. Dann werden Sie es selbst sehen! Bis die Sonne untergeht habe ich noch genug Zeit!«
»Tue, was du nicht lassen kannst, aber die Piper nimmst du nicht für den Unfug!«
»Ich bezahle den Treibstoff, o.k.?«
Und ohne die Antwort des Chefs abzuwarten, schlägt Billy die Tür hinter sich zu, rennt auf das Feld neben der Piste, schneidet mit seinem Taschenmesser ein Bündel verdorrtes Gras ab und bindet es fest zusammen. Dann holt er noch seinen Fotoapparat, läuft wieder
Weitere Kostenlose Bücher