Der Mann der nicht zu hängen war
Und sie beginnen miteinander zu reden, das heißt, sie versuchen es, aber es ist sinnlos. Roman versteht kein Wort Deutsch und der kleine Mann kein Wort Französisch. Also nimmt Roman Bielski ein Stück Papier hervor und zeichnet darauf ein Flugzeug. Der kleine Mann begreift sofort. Jetzt entspannt sich sein Gesicht zum ersten Mal. Ja, er lächelt sogar und nickt aufgeregt. »Ja, ein Flugzeug, mit einem Flugzeug fliegen. Aber wie? Und wohin?« Roman zeigt ihm die Flugkarte mit der aufgezeichneten Route nach Krakau, seinem Ziel. Und wieder lächelt der kleine Mann und nickt mit dem Kopf. »Ja, ja, Krakau, warum nicht? Egal wohin, bloß weg von hier!«
Voller Hoffnung und Dankbarkeit drückt er Romans Hände. Er spricht und spricht wie ein Wasserfall, obwohl er ganz genau weiß, daß Roman ihn nicht verstehen kann. Aber das ist nun nicht mehr wichtig Hätte er chinesisch gesprochen, Roman hätte ihn auch verstanden. »Danke! Vielen Dank! Sie retten mir das Leben! Danke, danke!« Das oder Ähnliches wird er wohl gesagt haben.
Einige Stunden später machen sich der Pole und der Wiener auf den Weg zum Flughafen. Die Mechaniker haben die kleine Störung an der Maschine schnell beheben können. Sie ist bereits aufgetankt und startbereit. Ja, aber was nun? Die Flughafenpolizei weiß ganz genau, daß Roman Bielski gestern in Wien sozusagen notgelandet ist. Und sie weiß auch ganz genau, daß er allein an Bord war. Was also tun? Da gibt es nur eine Chance: möglichst selbstsicher, locker, lässig und fröhlich auftreten. Als Roman mit dem kleinen Mann an den Flughafenpolizisten vorbeigeht, grüßt er lächelnd mit der Hand. Und auf die erstaunten, fragenden Blicke der Beamten erklärt er auf französisch:
»Das ist ein Freund. Er begleitet mich nur bis zu meiner Kiste und verabschiedet sich dann gleich. Übrigens, noch einmal vielen, vielen Dank! Ihre Mechaniker waren wirklich Klasse. Merci! Au revoir.«
Roman hatte die Wiener Flughafenpolizei richtig eingeschätzt: Mit französischem Charme ging bis dahin alles glatt über die Bühne, und die beiden Männer gehen nun ganz gemächlich zur Maschine. Sie lassen sich Zeit, wie zwei Freunde eben, die nichts zu befürchten haben. Sie reden aufgeregt miteinander — jeder in seiner Sprache, aber niemand kann sie hören! Sie klopfen sich sogar noch auf die Schultern, und Roman steigt endlich in seine Maschine, gleich neben der Startpiste. Kontakt, Motorzündung, alles in Ordnung. Jetzt rollt er langsam zum Start. Sein Begleiter fuchtelt neben dem Flugzeug mit den Armen, winkt und gestikuliert: »Mach’s gut! Guten Flug!«
In diesem Augenblick reißt Roman die Einstiegsklappe auf. Der Mann springt in die Maschine, und schon gibt Roman Vollgas und rast auf das Rollfeld, ohne auf die Starterlaubnis zu warten. Geschafft! Das Flugzeug hebt ab, huscht dicht über die Wipfel und stiehlt sich im Tiefflug Richtung Krakau davon.
Auf dem Flughafen herrscht höchste Aufregung, doch zu spät. Wenigstens in Wien kann man nichts mehr machen. Man kann lediglich den Flughafen von Krakau sofort benachrichtigen. Schließlich muß die Maschine ja auch wieder landen.
Nach zwei relativ ruhigen Flugstunden ist Krakau bereits in Sicht. Doch Roman Bielski fliegt den Flughafen nicht direkt an. Er weiß ja, was ihm und seinem neuen Freund blüht, wenn sie beide dort aussteigen. Jetzt also muß sich zeigen, ob er wirklich so ein meisterhafter Pilot ist. Denn jetzt muß er landen, irgendwo auf einer geeigneten Wiese, und es muß auch ganz schnell gehen. Da unten, zwischen zwei Gehölzen, sieht er eine Wiese, die ihm lang und eben genug erscheint. Dort müßte es gehen. Und es geht tatsächlich. Kaum steht die Maschine, stellt er den Motor ab. Er gibt dem kleinen Mann noch eine Landkarte der Gegend mit und die Hälfte des Geldes, das er bei sich hat. Schnell raus jetzt, keine Sekunde verlieren! Der Flüchtling schaut ihn kurz an, stammelt irgend etwas in Deutsch, springt hinaus und rennt so schnell er kann auf das schützende Wäldchen zu.
Minuten später landet Roman Bielski auf dem Krakauer Flugplatz, wo seine Maschine sofort von Polizeibeamten umringt wird. Roman steigt aus. Lässig, lächelnd, als habe er nichts zu befürchten.
»Wir wissen genau Bescheid! Wir haben Information aus Wien! Sie haben einem Mann zur Flucht verholfen. Steigen Sie beide sofort aus. Ihr Flugzeug ist beschlagnahmt!«
»Aber meine Herren, ich bitte Sie. Ich verstehe Sie nicht! Sie wollen mein Flugzeug durchsuchen? Bitte
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