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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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halt die Klappe.«
    Jamila durchquerte auf Zehenspitzen die Treppenhalle in Richtung »Nest«, was Tim sonderbar fand, weil der Weg nach unten links hinter dem Äußeren Tempel lag. Nur ein paar aufgeregte Herzschläge später vernahm er von den Stufen dort ein lautes Knarzen. Wir stecken in der Falle!, dachte er. Wie sich die Situationen doch ähnelten: In Cambridge war er oben auf einem Turm gefangen gewesen und jetzt oben in einem Mausoleum…
    Ein Klimpern ließ seinen Gedankenstrom abreißen. Jamila hatte den Schlüssel des Äußeren Tempels einfach in den Dunklen Raum geworfen und führte Tim nun nach rechts. Dort befand sich in einer Nische, nur wenige Schritte entfernt, eine weitere Treppe, die zuvor außerhalb der von ihren Handlampen geschlagenen Lichtschneisen gelegen hatte.
    »Leise!«, hauchte ihm Jamila ins Ohr und zog ihn über die Stufen nach unten.
    Die schmale Treppe war in keinem viel besseren Zustand als ihr größeres Gegenstück in der Halle. Doch wegen ihrer versteckten Lage und weil die nächtlichen Besucher in der Halle selbst ein Konzert aus Knarr- und Knarzlauten anstimmten, bestand zumindest die Hoffnung, unbemerkt zu bleiben. Während Tim und Jamila noch hinunterschlichen, ging nun über ihnen das Licht an. Wieder waren Stimmen zu hören, jetzt eindeutig als Männer zu identifizieren – vermutlich Bonesmen.

    »War da nicht eben ein Geräusch?«, fragte jemand.
    »Ich habe nichts gehört«, antwortete ein anderer.
    »Wenn die Polizei behauptet, jemand hätte hier Licht gesehen, dann sollten wir trotzdem alles kontrollieren.
    Vielleicht haben wir ja einen Spook im Orden. Ich werfe einen Blick in die Büros und den Komiteeraum. Hol du inzwischen den Schlüssel aus dem Nest. Hast du die Waffe dabei?«
    »Ja.«
    »Ich auch. Halt sie griffbreit. Also dann…«
    »Mist, Mist, Mist!«, zischte Jamila an Tims Seite. Inzwischen hatten sie das Erdgeschoss erreicht. Die Treppe mündete dort in einen Alkoven, der an den Firefly Room grenzte. Rasch huschten sie durch den »Germanischen Raum« zu der schon zuvor benutzten Treppe und über diese in den Keller.
    Tim überkamen schon Beklemmungsgefühle, ehe er die Kammer der Erkenntnis überhaupt betreten hatte. An der Tür davor wagte er das Schweigen zu brechen. »Was hast du vor?«
    »Die Vordertür ist durch das Puzzle verschlossen, weil sich jetzt jemand offiziell im Tempel befindet; da sollten wir lieber die Finger von lassen. Warte einen Moment!« Sie drückte die Sprechtaste ihres Funkgeräts und raunte: »Conehead, hier Morgiane. Unsere Besucher ahnen was. Einer hat den Verdacht geäußert, ein Spook könnte sich hier rumtreiben. Außerdem sind sie bewaffnet. Wie sieht es an der High Street aus?« Einen Moment lang lauschte sie und sagte anschließend – wohl ebenso für Tim wie für die Agenten draußen: »Verstehe. Adam Riese und ich gehen da raus, wo wir reingekommen sind. Over und aus.«
    »Spook?«, wunderte sich Tim.
    »Das ist Yale-Slang. Bedeutet Spion.«
    »Gibt es draußen Schwierigkeiten?«
    »Vor der Gruft steht ein Wagen mit zwei weiteren Personen, vermutlich ebenfalls Bonesmen. Das Dumme ist, unser Posten an der Vorderseite hat die Hineingehenden erst bemerkt, als sie die Gruft bereits betraten. Deshalb kann er nicht mit Sicherheit sagen, ob sich noch eine dritte Person im Haus befindet.«
    »Na herrlich!« Tim schüttelte den Kopf. »Wie konnte ich nur auf die hirnrissige Idee kommen, dich zu dieser Aktion zu überreden? Nur mal angenommen, die Kerle da oben sind von Aliat Mansube – ich denk besser gar nicht drüber nach.«
    »Das glaube ich nicht. Wie hätten sie an die Kombination kommen sollen?«
    »Vielleicht genauso, wie sie Zircon Afsahi das dechiffrierte Blatt abgenommen haben«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähen hervor.
    »Also gut. Sie sind bewaffnet und in der Überzahl, aber wie pflegt mein Mentor zu sagen? ›Wenn du deinen Gegner nicht besiegen kannst, dann lass ihn sich selbst besiegen.‹ Ich kenne hier jedes Knarzen und Quietschen, jede Stufe und Diele. Sie werden sich selbst ausmanövrieren, allein dadurch, dass sie sich bewegen. Und jetzt pass auf: Ich gehe vor in die Halle und peile die Lage. Du folgst mir sofort in die Ein-Mann-Zelle und wartest auf mein Zeichen. Wenn die Luft rein ist, leuchte ich mit meiner Taschenlampe zur Tür hinab. Sobald du das Licht durch die Spalten im Holz siehst, kommst du leise und schnell nach oben. Halte dich rechts an der Wand, da knarren die Stufen am wenigsten.

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