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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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flüsterte Tim erschrocken.
    Jamila schaltete ihre Taschenlampe ein. »Das willst du gar nicht wissen. Lass uns schleunigst von hier verschwinden.«
    In Windeseile durchquerten sie den Saal und eilten die Stufen hinab. Immerhin nahm Jamila sich noch genügend Zeit, um die Tür am Ende der Treppe von außen zu verschließen. Dann ging die Flucht weiter durch den Tunnel und in den Turm.
    Nachdem auch die Tür dort in ihren ursprünglichen Zustand versetzt war, rief Jamila abermals die »unsichtbaren« Männer.
    »Wir kommen jetzt raus.« Sie lauschte. »Alles roger. Over und aus.« An Tim gewandt, sagte sie: »Die Luft ist rein. Wir verschwinden nach hinten, in Richtung Weir Hall.«
    Gleich geisterhaften Schemen huschten sie aus dem Turm der Ehemaligen. Tim warf noch einen letzten Blick auf den dunklen Bunker des Tomb. Dann folgte er Jamila in die Schatten des alten Yale.

    Die NSA-Bewacher hatten ihren deutschen Rechenknecht noch nicht wieder in Empfang genommen. Die Türme und der Tempel lagen schon fast einen Block weit zurück, als sich in Marschrichtung an der Kunstgalerie der Durchgang zur York Street öffnete. An dieser Stelle sagte Tim unvermittelt:
    »Jamila, warte mal!«
    Sie blieb abrupt stehen. »Nicht jetzt, Tim, wir müssen weiter.«
    »Aber ich muss jetzt mit dir reden. Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht, was dieser – entschuldige – belämmerte Spruch bedeuten soll: 322 Eulogia est. ›Das ergibt doch keinen Sinn‹, hab ich mir gesagt. Aber dann… Ich glaube, der Schlüssel ist die Logenzahl selbst.«
    »Du meinst 322? Das wäre zu einfach.«
    »Stimmt es etwa nicht, dass die Ziffernfolge für viele Mitglieder des Ordens so etwas wie eine magische Zahl ist?
    Sie benutzen sie im Büro als Telefonnebenstellennummer, als Code für die Verschlüsselung ihrer persönlichen Dokumente und unterschreiben sogar ihre Briefe mit ›Yours in 322‹ – ›der Deine in 322‹?«
    »Ja, sicher, aber das wussten wir schon vorher.«
    »Genau. Ebenso wie wir die vielen anderen Details der Bruderschaft des Todes kannten, ihre diversen Namen, die verschiedenen Bezeichnungen für die Gruft, das ganze Gerümpel darin… Alles dient nur einem Zweck: Die Uneingeweihten zu verwirren. Die Quintessenz jedoch liegt im Schrein verwahrt: 322 Eulogia est. Das ist nicht etwa, wie ich anfangs dummerweise gedacht hatte, eine
    Selbstbeweihräucherung der Loge, sondern es bedeutet schlicht ›322 ist Beredsamkeit‹. Griffiger ausgedrückt…«
    »… ›322 spricht zu dir‹?«, schlug Jamila vor.
    Er nickte. »Oder: ›Die Wahrheit sagt dir die Zahl.‹«
    »Na schön. Und wie hilft uns das weiter? Du glaubst doch nicht wirklich, Beale hat die drei Ziffern als Schlüssel benutzt.
    Das wäre zu einfach.«
    »Nein.« Er tippte sich an die Schläfe. »Mein hier oben installiertes Mustererkennungssystem hat mir eine andere Lösung vorgeschlagen: Die Logenzahl setzt sich aus drei Ziffern zusammen, richtig?«
    Sie stöhnte. »Worauf willst du hinaus, Tim?«
    »Na gut. Die Beale-Chiffre besteht ebenfalls aus drei Blättern. Blatt II und III hat Beale jeweils paarweise bearbeitet: Er schrieb also erst den Klartext und wandelte diesen dann in das Zahlenrätsel um, hatte am Ende also zwei Versionen. Korrekt?«
    »Ja«, antwortete Jamila auffallend gedehnt, so als beginne sie langsam zu begreifen.
    »Diese zwei Blätter werden in der Logenzahl durch die doppelte Ziffer 2 am Ende repräsentiert. Demnach müsste Beale für das erste und wohl wichtigste Blatt…«
    »… drei Versionen erstellt haben«, führte Jamila den Gedanken zu Ende.
    Tim nickte zufrieden. »Jetzt hast du’s begriffen.«
    Sie kratzte sich am Kopf. »Ehrlich gesagt, noch nicht ganz.«
    »Ist doch ganz klar: Beale hat den Klartext erst einmal verschlüsselt und die daraus entstandene Chiffre noch ein zweites Mal. Das ist ein schon seit Jahrhunderten übliches Verfahren.«
    »Klingt verblüffend einfach.«
    »Die richtigen Lösungen sind oft die einfachsten. Man kommt nur nicht drauf, weil man zu kompliziert denkt.«
    »Damit wissen wir aber immer noch nicht, welche zwei Verfahren Beale benutzt hat.«
    Tim lächelte. »Ich habe da schon so eine Idee.«
    »Verrätst du sie mir?«
    Obwohl er mit der Frage gerechnet hatte, weckte sie doch seinen alten Argwohn. In der Gruft hatte sich Jamila sehr schweigsam gegeben, als es um ihr Wissen über Jacob Rosenholz gegangen war. Tim blickte in ihre Jadeaugen wie in ein geheimnisvolles Orakel. Konnte er ihr wirklich

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