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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Junge aus Deutschland hatte wirklich Talent.
    Schade, dachte die Eule, dass ich ihn nicht mehr anheuern kann.

    An das Buford der Tage Beales erinnerten nur noch Straßenschilder wie die Buford Avenue im benachbarten Oak Ridge. Das hatte Jamila bei ihren Reisevorbereitungen herausgefunden. Für die Fahrt nach Virginia waren etwa fünf Stunden veranschlagt. Ziemlich genauso lange saß sie dann auch am Steuer des Jeep Grand Cherokee, während Justin auf dem Beifahrersitz versuchte, eine Zweiliterthermoskanne Kaffee auszutrinken. Er machte gute Fortschritte. Schon in Washington hatte er auf Jamila nicht sonderlich ruhig gewirkt, mittlerweile war er das reinste Nervenbündel.
    Ob er etwas ahnte?
    Jamila war auf der Fahrt sehr schweigsam gewesen, was ihn offenbar nicht störte. Bei der NSA hatte sie gelernt, ihre Gedanken vor der Außenwelt zu verbergen. Das war ihr lange ziemlich gut gelungen. Bis Karim starb und ein starkes Jahr später Tim Labin in ihr Leben trat. Sie spürte keine Reue, weil sie Emil etwas vorgemacht hatte, schon gar nicht bei dem Mann, der gerade neben ihr saß, aber gegenüber Tim hatte sie ein schlechtes Gewissen. Dabei waren es weniger Lügen, die ihr Schuldenkonto ihm gegenüber belasteten, als vielmehr das lange Schweigen.
    Tim Labin hatte es verdient, die Wahrheit zu erfahren.
    Deshalb steckte jetzt auch die Kopie des Briefes von Thomas J. Beale in seiner Jacke. Hoffentlich hatte er ihren »Code« verstanden und in der Innentasche nachgesehen.
    Bei Justin dagegen hätte Jamila nur allzu gerne geredet. Sie wollte wissen, warum er Karim ans Messer geliefert hatte und später Zircon Afsahi wie auch beinahe Tim. Azam und Justin – das war ein bizarres Gespann. Wie war es zustande gekommen? Sie würde es wohl erst erfahren, wenn Justin in die Mündung ihrer Waffe blickte.
    Der Straßenverkehr hatte umgekehrt proportional zur zurückgelegten Entfernung abgenommen. Sie waren in der morgendlichen Rushhour von Washington aufgebrochen, und nun rollte der Geländewagen mit dem großen Stauraum über nahezu leere Straßen. Die kleinen Orte hier in Virginia pflegten das typisch provinzielle Heile-Welt-Image, manche mit mehr, andere mit weniger Erfolg: bunte Holzhäuser, teils mit abblätternder Farbe, windschiefe Strommasten, Supermärkte an den Ein- und Ausfallstraßen, Paradeplatz im Zentrum, verrostende Autos im Vorgarten – eben das Übliche.
    Wenn der Jeep allerdings zwischen Wiesen und Wäldern hindurchfuhr, sahen die beiden NSA-Agenten eine Landschaft, wie vermutlich schon Thomas Beale sie erblickt hatte.
    Abgesehen von den schwarzen Asphaltadern natürlich, die in Virginia wie überall längst den großen Organismus USA durchzogen. Bei Bachelors Hall hatten die Agenten den Highway US 58 verlassen und waren die Berry Hill Road noch keine fünf Kilometer in südlicher Richtung gefahren, als Justin einen Befehl bellte.
    »Bieg da rechts ab!« Er blitzte Jamila von der Seite her an, als habe er sie schon ein Dutzend Mal dazu aufgefordert. In der einen Hand hielt er den halbvollen Thermobecher, in dem seine schwarze Droge schwappte, und in der anderen einen GPS-Empfänger. Ein modernes Global Positioning System war ungleich genauer als die Navigation mit dem Sextanten, die Beale vermutlich angewendet hatte.
    »Hoffentlich wird unser Ausflug aufs Land keine Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen«, unkte Jamila.
    Justin warf ihr einen abfälligen Seitenblick zu und knurrte:
    »Schau nicht so sauertöpfisch drein, JJ. Die Chancen, fündig zu werden, stehen nicht schlecht.«
    »Beale hat seine Anweisungen in Deutsch verfasst. Was, wenn er auch in seiner Positionsangabe nach preußischem Standard verfahren ist? Zu seinen Lebzeiten gab’s dafür noch keine weltweite Norm.«
    »Glücklicherweise hat er in der britischen Armee gedient, was ihn für sein Leben geprägt haben dürfte. Der Nullmeridian wurde zwar erst nach seinem Tod in Greenwich festgepinnt, aber seitdem gilt für diesen Planeten das britische Monopol auf exakte Ortsangaben.«
    »Hast dich wohl in der letzten Nacht schlaugemacht«, versuchte sie ihn aufzuheitern.
    Er verzog das Gesicht. »So, wie mich Meister Kogan gestern Abend niedergemacht hat, hielt ich es für klüger, meine Hausaufgaben zu erledigen. Versucht mal mit der nächsten rechts. Das GPS sagt, dass wir noch anderthalb Meilen vom Punkt X entfernt sind.«
    »Punkt X?«
    Justin grinste. »Das Kreuz auf der Schatzkarte.«

    Als sie nur noch eine halbe Meile von der

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