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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Widersprüche in Verbindung mit der Wiederentdeckung von John Miltons De Doctrina Christiana…
    Diesen Brief also hatte Jamila ihm verschwiegen!
    Daran bestand kein Zweifel, in Zircons Afsahis Haus hatte sie wörtlich daraus zitiert, Beale sei »vor reaktionären Feinden der Revolution… nach Hessen entkommen«. Wer hatte ihr den Brief gegeben…? Tims Gedanken an Jamila, die geheimen Orden und all die anderen Details des Briefes verglühten förmlich, als mit brachialer Gewalt ein Blitz durch sein Gehirn zuckte.
    Iwan Gomlek! Nur seine Lippen sprachen den Namen des Mörders seiner Eltern aus.
    Die Medien hatten den 1989 als KGB-Stationsleiter in Berlin-Karlshorst stationierten – angeblichen – Russen in ihren Spekulationen darüber, wie die Rosenholz-Dateien in den Besitz der amerikanischen Geheimdienste gelangen konnten, immer wieder erwähnt. Jamilas Freund war dem ehemaligen Doppelagenten auf die Schliche gekommen und hatte dafür sterben müssen.
    Irgendwie musste die Suche von Robert und Hanna Rosenholz nach ihrem Ahnen Jacob der Eule aufgefallen sein.
    Vielleicht hatte ein Spitzel im Archiv der Stasi-Auslandsabteilung HV A Tims Eltern verpfiffen. Jedenfalls war Gomlek offenbar davon überzeugt, dass er mit den von ihnen entdeckten Informationen die Beale-Chiffre entschlüsseln konnte. Nach dem Fehlschlag in der Wohnung Rosenholz hatte er zu diesem Zweck wohl seine Beziehungen zu den US-amerikanischen Geheimdiensten ausgenutzt. Er spielte einem CIA-Kurier die Filmrollen mit den »Rosenholz-Dateien« zu und brachte anschließend die an dem Coup beteiligten Komplizen kaltblütig um.
    Aber nicht diese Erinnerungen und Schlussfolgerungen hatten den gleißenden Geistesblitz in Tims Kopf ausgelöst – sie waren nur der nachfolgende Donner –, sondern das, was sich dahinter verbarg.
    Emil W. Kogan war ein Anagramm von Iwan Gomlek.
    Andere Anordnung, gleiche Buchstaben.
    Das konnte unmöglich ein Zufall sein.
    Gomlek war Kogan.
    Er hatte das Gleiche getan wie Thomas Beale mit seinem Pseudonym Amos A. Bethel. War Gomlek diese Entdeckung etwa zu Kopf gestiegen? Hatte er sich in das Spiel mit Buchstaben ebenso verliebt wie in das mit schwarzen und weißen Figuren auf einem Feld mit vierundsechzig Feldern?
    Irgendwie erschien es Tim wie eine Ironie des Schicksals, dass einem derart skrupellosen Mann das Faible für Buchstabenversetzrätsel zur Achillesferse wurde, ausgerechnet Iwan Gomlek alias Emil W. Kogan, der nicht müde wurde, sein Credo von unbezwingbaren Gegnern, die man sich einfach selbst besiegen lässt, in die Welt hinauszuposaunen.
    Tims Gehirn, das in den letzten Tagen bis an den Rand der Leistungsfähigkeit strapaziert worden war, spuckte immer mehr Erinnerungen aus wie ein Glücksspielautomat die Münzen beim Hauptgewinn. Sein Vater hatte Gomlek schon damals als Verräter durchschaut. Tim sah wieder die Szene in jener Nacht des Mauerfalls vor sich, als seine Eltern von dem Russen gequält worden waren. Der Mann mit den unnatürlich großen Augen hatte aus Beales Brief zitiert: Ich verdanke Mr.  Rosewood mein Leben…Er genießt mein vollstes Vertrauen…
    händigen Sie bitte Mr. Rosewood das Kästchen mit sämtlichen Papieren aus. Alles war wieder da. Das grausame Katz-und-Maus-Spiel, wie seine Eltern ihren Peinigern den Brief ausgeliefert, ihnen aber von dem anderen Versteck im Archiv des DDR-Geheimdienstes nichts verraten hatten und wie Casim…
    »O nein!«, stöhnte Tim – und hoffte schon im nächsten Moment, etwaige Lauscher würden seinen Ausruf irgendwelchen Verdauungsproblemen zuschreiben.
    Dem Mann hatte eine Augenbraue gefehlt. Es war Azam Zardah gewesen.
    Jamilas Stiefbruder.
    Mr Pain hatte der Eule also schon damals als Foltermeister gedient. Sie müssen nämlich wissen, dass ich ein Experte auf meinem Gebiet bin, ein wahrer Künstler. Ich kann einen Menschen auf tausend Arten quälen, ihn foltern, verstümmeln oder töten. Tim wurde schlecht. Erinnerungen konnten so grausam sein!
    Wenigstens brauchte er sich im Hinblick auf Kogan keinen Illusionen hinzugeben…
    Schlagartig wurde ihm klar, dass nicht nur er sich in höchster Gefahr befand, sondern auch Jamila. Er durfte keine Zeit verlieren und musste den Fluchtplan sofort in die Tat umsetzen. Nur dann konnte er sie noch retten. Wenn das Bergungsteam erst Beales Schatz gefunden hatte, war sie für Kogan nur noch eine Mitwisserin, so wie einst Robert und Hanna Rosenholz, wie seine Geheimdienstkollegen, wie Zircon Afsahi, Karim und Dr.

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