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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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endgültigen Bruch mit dem Mutterland verhindern und schlugen einen Plan of Union vor.
    Selbst die Gegner dieses Unionsplans hatten zwar die Gängelung durch das Parlament in London satt, wollten aber weiter den König als Oberhaupt behalten.«
    »Sie meinen: so wie die Kanadier? Die USA ein Mitglied des Commonwealth of Nations mit der Queen als Staatsoberhaupt
    – eine amüsante Vorstellung.«
    »Mit der sich etliche meiner Landsleute durchaus anfreunden könnten.«
    »Auch viele im Mutterland«, pflichtete Afsahi seiner Kollegin bei.
    Sie musterte den an der Stirnseite des Tisches sitzenden Professor von der Seite mit einem Blick, der Tim Rätsel aufgab. Doch ehe er den Ausdruck in ihren Augen zu deuten vermochte, fuhr sie in ihren Ausführungen fort.
    »Ich vermute, Beales Vermächtnis könnte uns eine weniger romantische Wahrheit offenbaren, Tim. Die Revolution begann als Kampf einer gesellschaftlichen Elite, die ihren sozialen und ökonomischen Sonderstatus erhalten und ausbauen wollte. In den Jahren davor hatten die Wortführer dieser Führungsschicht immer wieder reklamiert, sie wollten keine Untertanen zweiter Klasse sein; für den Mann auf der Straße müsse überall dasselbe Recht gelten, ob nun in London oder in Boston. Dabei ging es den Vermögenden und Einflussreichen in den Kolonien vornehmlich um den Wegfall der Handelsbeschränkungen.«
    Tim schnaubte abfällig. »Sie meinen, die Amerikaner tanzen am 4. Juli um ein goldenes Kalb, das nur einer kleinen Minderheit von ihnen gehört?«
    »Das ist eine sehr zynische Sicht.«
    »Aber eine zutreffende«, warf Afsahi ein.
    Diesmal tat JJ so, als habe sie den Professor nicht gehört.
    »Sie wollten meine Meinung zum wahren Inhalt der uns heute bekannten Unabhängigkeitserklärung hören, Tim. Wenn sie tatsächlich einen verschollenen Vorläufer hat, was ja noch zweifelsfrei bewiesen werden muss, dann tippe ich auf ein Abkommen, mit dem sich die Kolonien vom Mutterland wirtschaftliche Freiheit erkaufen wollten. Vielleicht hatte man sich nach klassischem Vorbild auf eine Art Tribut geeinigt, berechnet nach dem Wirtschaftsaufkommen der Kolonien.«
    »Sie meinen, einen bestimmten Prozentsatz des Bruttosozialprodukts?«
    »Oder eine jährliche Abgabe vom erwirtschafteten Außenhandelsüberschuss.«
    »Junge, Junge. Da dürfte bis heute ein ziemlicher Batzen aufgelaufen sein.«
    Afsahi nickte. »Großbritannien könnte auf einen Schlag seinen Staatshaushalt sanieren und wäre vermutlich das reichste Land der Erde.«
    Tim verzog das Gesicht. »Als Anwalt würde ich trotzdem lieber die Vereinigten Staaten vertreten. Deren Chancen, das Geld zu behalten, schätze ich ungleich höher ein.«
    JJ legte forsch ihr Besteck auf den Teller. »Beenden wir die Spekulationen, meine Herren. Nach der jüngsten Hypotheken-und Immobilienkrise sind die Finanzmärkte sensibler denn je.
    Gerüchte von Billionennachzahlungen der Vereinigten Staaten könnten katastrophale Folgen haben.« Der Professor zwinkerte seinem Gast zur Linken zu.
    »Verstehen Sie jetzt die strengen Sicherheitsvorkehrungen, Tim?«
    »Sagen wir, ich akzeptiere sie – vorausgesetzt, ich muss nicht in einem hermetisch abgeriegelten Labor arbeiten.«
    »Was das anbelangt, kann ich Sie beruhigen«, erklärte JJ rasch. »Sie dürfen den Lesesaal der Bibliothek benutzen. Nur sollten Sie mit niemandem außerhalb des Teams über Ihre Arbeit reden oder irgendwelche Notizen liegen lassen.«
    »Notizen?«
    »Schriftliche Merkhilfen.«
    »So etwas brauche ich nicht.«
    Sie lächelte verschmitzt. »Verzeihung, Sie sind ja der Mann, der nichts vergessen kann.«
    Er hob die Schultern. »Ich kann nichts dafür.«
    »Immerhin sind Sie gerade Schachweltmeister geworden.«
    »Ach, wissen Sie, Albert Einstein hat einmal gesagt: ›Schach ist das Spiel, das die Verrückten gesund hält.‹«
    »Sie sind nicht verrückt, Tim. Höchstens ein wenig… anders.
    Oder besser noch: besonders.«
    Die Leidenschaft, mit der sie das sagte, entfachte einen Orkan in ihm. Benommen stammelte er: »W-wäre ich anders, dann würde ich heute wohl nicht hier sitzen. Ich will mir doch das große Fressen nicht entgehen lassen.«
    »Das große…? Darf ich Ihre Antwort so deuten, dass Sie uns bei der Lösung des Beale-Rätsels helfen werden?«
    Ein Blick in JJs grüne Augen ließ Tim jegliche Zweifel vergessen. »Ja, ich bin dabei.«
      
      
      

PHASE IV

MITTELSPIEL

    Gegenwart
      

    »Wir haben keinen Zugang zu den Hinterräumen  
    unseres

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