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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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einlegen wollen, dann ist das kein Problem. Was immer Sie brauchen, um Ihre Leistungsfähigkeit wiederherzustellen, wir geben es Ihnen.«
    »Gehen Sie mit mir essen.«

    JJ blinzelte irritiert. »Was?«
    »Ich brauche ein Rendezvous mit Ihnen.«
    »Das ist jetzt kontraproduktiv, Tim.« Sie klang verärgert.
    »Im Gegenteil. Es hilft mir, meine ›Leistungsfähigkeit wiederherzustellen‹.«
    »Wir haben schon oft miteinander gegessen. Ich bringe Ihnen jeden Tag was aus dem Tea Room mit.«
    »Das ist aber kein richtiges Date. Ich will Sie näher kennenlernen, JJ.«
    »Und was ich möchte, spielt wohl gar keine Rolle.«
    »Für mich schon. Erzählen Sie’s mir. Zufällig habe ich heute Abend noch nichts vor, und in der Nähe soll es einen guten Italiener geben.«
    »Heute geht es nicht.«
    »Und morgen?«
    »Da kann ich auch nicht.«
    »Bekommen Sie Ärger mit Ihrem Freund, wenn Sie mit mir ausgehen?«
    JJ sah ihn aus ihren grünen Augen so bestürzt an, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. »Mein Freund ist tot«, sagte sie leise.
    Tim wäre am liebsten im Boden versunken. Warum konnte er nicht seinen Mund halten oder wenigstens einmal etwas sagen, das ihm bei JJ Sympathiepunkte einbrachte? Stattdessen rutschte er bei ihr immer tiefer in die Miesen. »Das tut mir leid.«
    Ein Moment der Stille trat ein, lange genug, um die Neugier der Lauscher im Lesesaal verfliegen zu lassen. Auch Tim senkte den Blick wieder in seinen Robyn Hode› fest davon überzeugt, es sich bei JJ nun endgültig verscherzt zu haben.
    Doch plötzlich sagte ihre samtene Stimme etwas, das ihm die Fassung raubte.
    »Also gut. Ich gehe mit Ihnen essen. Heute um acht.«

    Laut eigener Homepage versprach das »Gondola Venezia«
    solide italienische Küche im anglisierten Stil: Lasagne mit Chips, Beefsteak mit grünem Spargel und andere kulinarische Eskapaden, die kein echter Italiener seinem Magen jemals zugemutet hätte. Den Geschmack der Engländer schien die Speisekarte indes zu treffen, denn als Tim in dem Restaurant anrief, um »einen Tisch in einem lauschigen Eckchen« zu reservieren, hieß es spontan: »Wir sind ausgebucht.«
    Nach kurzem Zögern wurde hinzugefügt: »Sind Sie der Tim Labin, der frischgebackene Schachweltmeister?«
    »Vor zwölf Tagen war ich’s noch.«
    »Warten Sie, ich glaube, da ist gerade noch etwas frei geworden.«
    Wie es sich für ein richtiges Date gehörte, holte Tim seine Teamkollegin zu Hause ab. Exakt um 19.45 Uhr klingelte er an der Tür eines hübschen Hauses in der Newnham Croft Street.
    Die Universität hatte sie beide in gediegenen Privatunterkünften typisch englischer Art einquartiert; Tims Wirtin war eine junge Witwe und Jamilas eine alte.
    Er achtete darauf, dass JJ die beiden Enden des roten Wollschals im rechten Winkel über der Brust kreuzte sowie sämtliche Knöpfe ihres Mantels von unten nach oben schloss.
    So könne sie, versicherte er ihr, allen Herbststürmen gelassen trotzen. Das Oktoberwetter war jedoch gnädig mit den beiden, und sie trafen weitgehend unzerzaust um Punkt 20 Uhr in dem Restaurant ein.
    Der Wirt, ein bulliger Engländer mit Schnurrbart und pomadisiertem Haar in Italienisch-Schwarz, begrüßte den deutschen Gast, als habe dieser nicht nur ein paar Runden Schach, sondern gleich den Kalten Krieg gegen die UdSSR
    gewonnen. Er übergab die Besucher an eine dralle Angestellte, eine etwas burschikose Frau Mitte dreißig, die ungefähr so italienisch aussah wie die schlappohrigen Bassets der Queen.
    Sie führte das Paar zum Tisch.
    Das lauschige Eckchen war perfekt hergerichtet, samt Kerze, Tafelsilber und rosa Tischwäsche. JJ zeigte ihre Grübchen, und Tim war selig. Er durfte mit dem schönsten Mädchen der Welt einen romantischen Abend verbringen. Was brauchte ein Mann mehr zum Glücklichsein?
    Das Essen erwies sich, ungeachtet der Nationalität des Kochs, als genießbar, der Chianti sogar als vorzüglich. Und JJ – verglichen mit der Beinaheabfuhr am Vormittag war sie wie ausgewechselt. Sie plauderte zwanglos, lächelte sogar hin und wieder, vermittelte Tim also durchaus den Eindruck, sich in seiner Gegenwart wohlzufühlen. Trotzdem oder gerade deshalb kam er sich vor wie ein Schuljunge bei seinem ersten Date. Er war heilfroh ob der schummrigen Beleuchtung des Lokals, weil seine Ohren, wie er meinte, vor Aufregung rot glühen mussten.
    Nach dem Espresso fiel Tim nichts mehr ein, um den wunderbaren Abend noch weiter in die Länge zu ziehen, und er bat um die Rechnung.

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