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Der Mann, der nichts vergessen konnte

Titel: Der Mann, der nichts vergessen konnte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Die Bedienung verlangte sechsundvierzig Pfund siebzig, nachdem sie die einzelnen Positionen auf einem Block zusammengezählt hatte.
    »Entschuldigung, aber Sie haben sich vertan«, sagte Tim höflich.
    Die Dralle sah ihn finster an. »Woher wollen Sie das wissen?
    Sie haben ja nicht mal auf meinen Notizblock geschaut.«
    Er blieb freundlich. »Wozu auch? Ich habe Ihre Karte im Kopf. Der Betrag ist um vier Pfund und zwanzig Pence zu niedrig. Sie haben das San Pellegrino vergessen, und die zwanzig Pence sind ein Rechenfehler. Nicht so schlimm. Kann jedem mal passieren.«

    Die Augen der Frau verengten sich. »Die Karte im Kopf?
    Wollen Sie sich über mich lustig machen? Ich sehe Sie heute zum ersten Mal, Mister.«
    »Ich Sie auch, aber was hat das damit zu tun?« Tim bemerkte, wie JJ hinter vorgehaltener Hand schmunzelte.
    Die Bedienung stemmte ihre Fäuste in die Seiten. »Hören Sie, mein Boss war früher Ringer. Der mag es gar nicht, wenn sein Personal von Gästen blöd angemacht wird.«
    Tims Fassade der Freundlichkeit begann zu bröckeln. Es kostete ihn einige Mühe, die reizbare Serviererin von seiner Arglosigkeit zu überzeugen. Unterdessen brachte er sein Portemonnaie zum Vorschein, legte einige Pfundnoten auf den Tisch, schüttete den Inhalt des prall gefüllten Münzfaches dazu und sagte: »Stimmt so.«
    Die Bedienung warf einen mürrischen Blick auf das Sammelsurium aus kupfernen und silbernen Geldstücken.
    »Jetzt erzählen Sie mir nicht, Sie wüssten auf den Penny genau, was Sie in Ihrem Beutel mit sich herumtragen?«
    »Sie etwa nicht? Natürlich weiß ich das.« Er deutete auf den Tisch. »Außerdem sieht ja wohl jedes Kind, dass da vierundfünfzig Pfund und dreiundsiebzig Pence liegen. Der Rest ist für Sie.«
    Argwöhnisch zählte die Frau erst die Banknoten und dann die Münzen. Je näher sie an den Endbetrag kam, desto düsterer wurde ihre Miene. Schließlich knurrte sie: »Vierundfünfzig Pfund und dreiundsiebzig Pence.«
    Tim lächelte. »Soll ich Ihnen beim Ausrechnen Ihres Trinkgeldes behilflich sein?«
    Die Serviererin presste die Geldtasche an ihren Busen, wirbelte herum und rauschte davon.
    »Nettes Kunststück«, bemerkte JJ amüsiert.
    Ein unterschwelliges Gefühl sagte Tim, dass er sich gerade wie ein Trottel benommen hatte. Er verzog das Gesicht. »Ich war wohl ziemlich penetrant, was? Tut mir leid. In meinem Kopf rattern ständig Zählwerke, und wenn die Wirklichkeit nicht mit meinem Ergebnis übereinstimmt, werde ich unleidlich und will den Fehler zwanghaft korrigieren. Es…« Er senkte verlegen den Blick. »Sich in andere Menschen einzufühlen fällt mir schwer. Sie denken jetzt bestimmt…«
    »Es wäre mir lieber, wenn du Jamila zu mir sagst«, unterbrach sie ihn mit sanfter Stimme.
    Erstaunt sah Tim in ihre jadegrünen Augen und fühlte sich jäh aus dem Raum-Zeit-Kontinuum ausgeklinkt. Tag und Stunde verloren für ihn jede Bedeutung, sie existierten einfach nicht mehr. Auch seine Umgebung verschwand, wurde weggesaugt, als fliege er durch ein Wurmloch. Was JJ da eben gesagt hatte, war mehr für ihn als ein Ritterschlag der Queen.
    Hätte sie ihm einen Heiratsantrag gemacht, wäre er auch nicht verzückter gewesen. Schon am Morgen hatte sie gesagt, sie mache sich seinetwegen Sorgen und jetzt das! Sie liebte ihn.
    Es konnte gar nicht anders sein, denn er, Tim Labin, geborener Rosenholz und, zugegeben, ein recht dorniger Stamm, war bis über beide Ohren in diese Königin aller Rosen verliebt.
    Spontan griff er nach ihrer Hand.
    Was hierauf folgte, überraschte ihn: ihr unergründlicher Blick, das flüchtige Lächeln, das jähe Zurückziehen ihrer Hand und dann der abrupte Themenwechsel vom Privaten ins Geschäftliche.
    »Je besser wir im Projekt miteinander harmonieren, desto größer sind unsere Erfolgsaussichten. Denkst du, morgen kannst du wieder mit frischem Elan ans Werk gehen?«
    Für Tims Leidenschaft kam Jamilas Reaktion einer kalten Dusche gleich – zischend und dampfend erlosch sein Feuer.
    Sie hatte ihn in die Dimensionen des Hier und Jetzt zurückgeschleudert, aber bis er zu einer Antwort fähig war, verging noch eine geraume Zeit. »I-ich denke schon.«

    Sie wich seinem waidwunden Blick aus und suchte nach dem Ober, als könne sie die Zweisamkeit plötzlich nicht schnell genug beenden. Als Tims Starren ihr zu unangenehm wurde, verlor sie die Beherrschung. »Was ist?«
    Seine Gedanken formten Worte, Worte, die er eigentlich nicht aussprechen wollte, die aber trotzdem

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