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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ignatius David
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die Angst zu vertreiben.
    «Lass dich nicht erwischen», schärfte ihm Jack am letzten Tag ein, bevor Ferris nach Norden aufbrechen sollte. «Das ist die wichtigste Regel hier. Wenn sie dich erwischen, bringen sie dich irgendwann um, aber vorher bringen sie dich noch zum Reden. Also lass dich nicht erwischen. Das ist der einzige Weg. Wenn du irgendwo eine Straßensperre siehst und denkst, sie werden dich vielleicht aufhalten, fang einfach an zu schießen und schieß so lange weiter, bis du entweder durch bist oder tot.»
    «Ich kann ziemlich gut Arabisch», sagte Ferris.
    Jack schüttelte den Kopf. «Ich sag’s noch mal: Lass dich nicht erwischen. Bei denen kannst du dir den Mund fusselig reden, das bringt gar nichts. Du musst als Erster schießen, das respektieren sie. Versuch bloß nicht, schlau zu sein, und knall genügend von ihnen ab, dann spielt es keine Rolle mehr, wie gut du Arabisch kannst.»
    Als Ferris schließlich seinen großen Treffer landete, war er schon seit fast drei Monaten im Nordirak. Seit er dort war, hatte er praktisch täglich Angst, und an diesem Tag war es nicht anders als sonst. Frühmorgens, als er gerade unter der Dusche stand, war der Stützpunkt mit Granatwerfern angegriffen worden, und Ferris hatte splitternackt und mit nichts als einem viel zu kleinen Handtuch um die Hüften aus dem Waschraum neben seinem Wohnwagen in einen betonierten Unterstand flüchten müssen, der als Bunker diente. Zwei Granaten hatten eingeschlagen, eine davon nur einen halben Kilometer von ihm entfernt. Entwarnung gaben sie schon lange nicht mehr, weil sich das ohnehin nicht lohnte. Ferris ging zurück in den Waschraum, duschte weiter und dachte dabei, dass es sicher ein schlechtes Omen war, wenn ein Tag schon so anfing. Wie sich herausstellte, war das ein Irrtum.
    An diesem Morgen musste er «zurück in die Scheiße», wie seine Kollegen zu sagen pflegten. Damit meinten sie alles, was sich außerhalb ihres Stützpunkts befand. Ferris verbrachte immer wechselweise eine Woche draußen und dann wieder eine Woche im Stützpunkt, was Hoffman überhaupt nicht gefiel, denn das eigentlich Gefährliche an dem Job war schließlich der Übergang von einer Zone in die andere. Dem Leiter der Nahost-Abteilung wäre es sehr viel lieber gewesen, wenn Ferris sich mit seinen Agenten innerhalb der Sperrzone getroffen hätte. Er hatte Angst, Ferris über kurz oder lang im Irak zu verlieren, und war sich nicht sicher, ob ihm der aussichtslose Krieg dort das wert war. Ferris selbst hingegen wusste, dass solche Vorsichtsmaßnahmen Unsinn waren. Lieber hatte er gar keine Agenten als solche, die auf einem amerikanischen Stützpunkt ein und aus gingen. So war das eben im Irak: Es gab keine halben Sachen.
    Ferris zog seinen durchgeschwitzten Thoub über und legte die karierte Kufija an. Zusätzlich zu dem für den Irak unbedingt erforderlichen Schnurrbart trug er auf seinen Ausflügen einen mehrere Tage alten Stoppelbart, der ihn weder rasiert noch unrasiert aussehen ließ. In Verbindung mit seinem eher dunklen Teint ging er so problemlos als Araber durch. Weil er während seines Studiums ein Auslandssemester in Kairo verbracht und dort angefangen hatte, Arabisch zu lernen, sprach er das «G» immer noch so weich aus wie die Ägypter, was auch seiner Deckidentität entsprach. Ferris überlegte, was seine Frau wohl zu seinem Aufzug sagen würde. Christina stellte sich sein Leben als Spion immer ein bisschen so vor wie in einem James-Bond-Film, in dem man schicke Anzüge trug und ständig Martinis trank. Wenn sie ihn jetzt sehen könnte, würde sie ihm vermutlich nahelegen, sich schnellstens umzuziehen. Christina mochte alles an Ferris – nur nicht sein richtiges Leben.
    Er verließ den Stützpunkt mit den arabischen Arbeitern, die gerade die Nachtschicht beendet hatten. Er war sich sicher, dass ihn niemand ansprechen würde: Iraker, die auf den amerikanischen Stützpunkten arbeiteten, sprachen grundsätzlich mit niemandem. Sie setzten ihr Leben aufs Spiel, um ein bisschen Geld nach Hause zu bringen, denn falls die Aufständischen sie zu fassen bekamen, waren sie tot. Kein Wunder also, dass sie sich in alle Winde zerstreuten, sobald sie die sichere Zone verlassen hatten. Und Ferris tat so, als wäre er einer von ihnen.
    Draußen wartete ein irakischer Wagen auf ihn, ein ramponierter Mercedes aus den Siebzigern, als der Irak noch in Geld schwamm. Am Steuer saß einer von Ferris’ Agenten, ein junger Mann namens Bassam Samarai. In der

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