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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ignatius David
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Kumpel Nizar noch dazu. Also pass jetzt gut auf: Von heute Abend an müssen wir ständig in Bewegung bleiben und dürfen diese Woche keine Nacht am selben Ort verbringen. Wenn dieser Nizar wirklich überläuft, ist er pures Gold wert. Und wir werden nicht zulassen, dass er wegen irgendeiner beschissenen Nachlässigkeit ums Leben kommt. So eine Chance kriegt man nicht oft, ich will das hier auf keinen Fall vermasseln. Kapiert? Sag schon: Hast du kapiert?»
    «Klar, Boss», erwiderte Bassam, im selben Ton wie immer. Aber Ferris wusste, dass er verstanden hatte.
    Bassams Onkel wohnte am Ende einer langen Schotterstraße in der Nähe von Ad Dawr, ein paar Kilometer südlich von Tikrit. Dass das Haus früher einmal ein Bauernhof gewesen war, sah man an den noch immer vorhandenen Bewässerungsanlagen, während die Felder, auf denen kaputtes Arbeitsgerät herumstand, längst vom Unkraut überwuchert waren. Ferris ließ Bassam den Wagen hinter dem Haupthaus parken, wo man ihn von der Straße nicht sehen konnte. Unter einem Eukalyptusbaum, gut fünfzig Meter vom eigentlichen Haus entfernt, stand ein kleineres Nebengebäude, von dem Bassam sagte, es sei unbewohnt. Ferris befahl ihm, Nizar dorthin zu bringen, und schärfte ihm ein, weder seinem Onkel noch sonst jemandem gegenüber zu erwähnen, dass er hier war. Bassam zwinkerte ihm zu, und obwohl er sich sichtlich Mühe gab, möglichst unbekümmert zu wirken, merkte man ihm doch an, dass er Angst hatte.
    Ferris betrat das kleine Haus. Es roch nach Kot – ob von Tieren oder Menschen, konnte er nicht sagen. Es gehörte zu den unappetitlicheren Erscheinungen des irakischen Alltagslebens, dass so gut wie jedes leer stehende Gebäude zum Behelfsklo umfunktioniert wurde. Ferris machte die Fenster auf, um ein bisschen zu lüften, und stellte die Stühle so hin, dass niemand von draußen sehen konnte, wie er mit Nizar redete. Dann setzte er sich hin und wartete.
    Zehn Minuten später kam Bassam mit Nizar im Schlepptau, auf den er in einer arabischen Version des umgangssprachlichen Singsangs einredete, den er auch im Englischen drauf hatte. Nizar war klein und stämmig wie ein Hydrant und hatte einen buschigen Schnurrbart, der ihm über die Lippen hing. Obwohl Ferris seinen irakischen Slang nicht hundertprozentig verstand, spürte er doch genau, wie nervös Nizar war. Seine Stimme zitterte leicht, wenn er mit Bassam sprach, und seine Augen huschten unruhig hin und her, als hielten sie ständig Ausschau nach der Gefahr, die für ihn nur allzu real war. Als er das kleine Haus betrat, musterte er Ferris aufmerksam und versuchte, im Dämmerdunkel sein Gesicht zu erkennen.
    «Das ist mein Freund aus Ägypten.» Bassam deutete auf Ferris. «Er kann dir vielleicht helfen.»
    Nizar und Ferris tauschten die üblichen islamischen Höflichkeiten aus: Friede sei mit dir, Gott schenke dir Gesundheit. Bassam hatte aus dem Haus seines Onkels eine Flasche Wasser mitgebracht, aus der er jetzt feierlich drei nicht ganz saubere Gläser füllte. Es dauerte lange, bis sie zur Sache kamen, aber in diesem Teil der Welt war es grundsätzlich ein Fehler, die Dinge überstürzen zu wollen.
    «Ich kann dir helfen, mein Freund», sagte Ferris schließlich in seinem ägyptisch gefärbten Arabisch.
    «Dank sei Gott», sagte Nizar.
    «Aber warum brauchst du überhaupt Hilfe? Wovor hast du Angst?»
    «Ich weiß zu viel. Ich war mit Abu Musab al-Sarkawi auf Reisen. Ich kenne seine Geheimnisse. Er und seine Leute haben mir vertraut. Sie haben mich darauf vorbereitet, außerhalb des Irak etwas für sie zu tun, aber vor ein paar Tagen sagten sie mir auf einmal: Tut uns leid, aber wir brauchen dich für einen Selbstmordeinsatz in Bagdad. Ich glaube, sie haben ihr Vertrauen in mich verloren. Warum, weiß ich auch nicht. Vielleicht hat es irgendwelche Gerüchte gegeben. Vielleicht haben sie erfahren, dass ich Bassam kenne. Da bin ich weggelaufen. Sie haben schon genügend Märtyrer. Ich will nicht sterben. Ich will nach Amerika.»
    «Ich kann dir helfen», wiederholte Ferris. «Ich kenne Leute, die dich nach Amerika bringen können. Sie können dir Geld verschaffen, ein Visum, eine Green Card. Alles. Aber du kennst ja die Amerikaner. Sie schenken dir nichts. Wenn du etwas von ihnen haben willst, musst du ihnen etwas dafür geben. Sag mir, was du ihnen zu geben hast, dann kann ich dir sagen, ob ich dir helfen kann.»
    Nizar schüttelte den Kopf. «Das ist zu gefährlich», sagte er. «Das kann ich nur einem Amerikaner

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