Der Mann, der niemals lebte
erzählen. Einem Araber kann ich nicht vertrauen. Wer weiß, ob er mich nicht verraten würde.»
Ferris dachte einen Augenblick nach. Bis jetzt klang alles, was der Mann sagte, ganz vernünftig. Und er hatte durchaus recht damit, Arabern nicht zu vertrauen. Das entscheidende Wort konnte nur ein Amerikaner sagen. Ferris wusste, dass er gegen seine Dienstvorschriften verstieß, wenn er sich schon so früh als Amerikaner zu erkennen gab, aber er sah keine andere Möglichkeit, diese Sache durchzuziehen. Er beugte sich so weit auf seinem Stuhl vor, dass die Sonne sein Gesicht beschien, und nahm dann die Kufija ab, damit Nizar ihn richtig sehen konnte.
«Ich bin Amerikaner, Nizar. Ich arbeite für den Nationalen Sicherheitsrat», sagte er auf Englisch und wiederholte es dann noch einmal auf Arabisch. «Ich kann dir helfen, nach Amerika zu kommen, aber zuerst musst du mir alles erzählen, was du weißt. Nur dann können wir die Sache richtig planen.»
Nizar musterte Ferris und versuchte offensichtlich, einen Entschluss zu fassen. Und dann tat er etwas, womit Ferris absolut nicht gerechnet hatte. Er fiel auf die Knie und küsste Ferris die Hand. Tränen standen ihm in den Augen. So groß war also seine Angst, dass al-Sarkawis Leute ihn töten würden.
«Sag mir, was du weißt.» Ferris sprach langsam und ruhig. «Dann kann ich dir helfen. Erzähl mir etwas, womit ich meinen Chef zu Hause in Washington richtig glücklich machen kann.»
Nizar schloss die Augen. Er wusste, worum es ging. Es war die einzige Trumpfkarte, die er ausspielen konnte. Ferris hob die Hand und legte sie dem Iraker an die Stirn, als könnte er ihn auf diese Weise heilen. So etwas hatte er noch nie zuvor bei jemandem gemacht, aber in diesem Moment fühlte es sich einfach richtig an.
«Sie wollten, dass ich außerhalb des Irak etwas für sie tue», sagte Nizar.
«Ja», erwiderte Ferris. «Das hast du schon gesagt. Was solltest du denn für sie tun?»
«Es ist wegen meiner Ausbildung beim Mukhabarat. Ich weiß, wie man Bomben baut. Ich weiß, wie man Einsätze durchfuhrt. Das habe ich alles gelernt. Sie haben gesagt, dass sie genau das brauchen, wenn sie in Europa Autobomben hochgehen lassen. Das planen sie nämlich, Autobomben in Europa, so wie hier in Bagdad. Aber sie haben nicht genug Leute, und deshalb hat er mich gebraucht.» Er hielt inne, hatte offensichtlich Angst weiterzureden.
«Wer ist ‹er›?», fragte Ferris und sah Nizar in die Augen. «Wer hat dich gebraucht, Nizar? Sag es mir, sonst stehe ich jetzt auf und gehe.»
»Der Mann, der das neue al-Qaida-Netzwerk leitet. Der die Attentate in Europa geplant hat. Der Mann, vor dem sich die Amerikaner am meisten fürchten. Die Leute, die ich hier kenne, stehen in Kontakt mit ihm. Sie wollten mich zu ihm schicken.«
»Und wer ist dieser Mann?«
Nizar schwieg wieder. Er saß einfach da und schüttelte den Kopf. Er schien so verängstigt, dass er nicht mehr wusste, was er tun sollte.
Ferris spürte, dass er ihn verlieren würde, wenn er nicht schnell handelte. Er stand auf und tat, als wollte er das Haus verlassen. »Komm, Bassam«, sagte er. »Wir gehen.«
Nizar sagte etwas, doch seine Stimme war kaum zu hören.
»Sprich lauter«, sagte Ferris.
»Süleyman«, flüsterte Nizar. »Das ist nicht sein richtiger Name, aber die Leute nennen ihn so. Süleyman den Prächtigen. Er ist der Kopf hinter den Anschlägen.«
Großer Gott, dachte Ferris. Das ist es. Wie sollen wir den Jungen jetzt bloß am Leben halten?
Balad, Irak
Noch von dem verfallenen Haus am Tigris aus rief Ferris Ed Hoffman über sein Satellitentelefon an. In Washington war es vier Uhr früh, aber das war egal. Im Gegenteil, Hoffman würde sogar sauer sein, wenn Ferris ihn angesichts eines solchen Coups nicht wecken würde. Der diensthabende Beamte, der den Anruf bei der Operationszentrale der Nahost-Abteilung annahm, klang allerdings nicht gerade begeistert – wahrscheinlich hatte er wegen Ferris sein Solitärspiel am Computer unterbrechen müssen. Ziemlich wortkarg stellte er den Anruf zu Hoffmans Privatapparat durch.
»Verdammt noch mal, was ist denn los?«, waren Hoffmans erste Worte. Dann: »Wie spät ist es überhaupt?«
»Tut mir leid, dass ich Sie aufwecken muss«, sagte Ferris, »aber ich glaube, dass wir hier in Dodge City auf eine Goldader gestoßen sind.«
»Ehrlich?« Hoffman war mit einem Schlag hellwach. »Was haben Sie für mich?«
»Ich verhöre gerade einen irakischen
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