Der Mann, der niemals lebte
CIA-Niederlassung in Balad. Zunächst hatte Hoffman, der Ferris gerne als persönlichen Assistenten in der Zentrale behalten hätte, sich geweigert, ihn in den Irak zu schicken, aber Ferris hatte nicht lockergelassen. Wenn jemand in den Irak geschickt werden musste, dann doch wohl er: Schließlich beherrschte Ferris die Sprache und war mit der dortigen Kultur vertraut. Seit er vor etwa zehn Jahren während seines Studiums an der Columbia angefangen hatte, sich mit islamischem Fundamentalismus zu befassen, verfolgte er dieses Ziel auf die eine oder andere Weise.
«Der Irak ist am Arsch», hatte Hoffman erklärt.
«Na und?», hatte Ferris erwidert. «Das macht ihn ja gerade so interessant.»
Ferris interessierte sich nicht für Politik, das überließ er dem Außenministerium oder den Leuten in den Fernseh-Talkshows. Vermutlich war er der einzige Mensch in ganz Amerika, der keine Lust hatte, über die Katastrophe im Irak zu reden, und stattdessen einfach nur hinwollte. Während seiner Arbeit für Hoffman hatte er unter anderem einen Katalog von Verhaltensweisen entwickelt, der jungen Agenten im Irak bessere Überlebenschancen garantierte: arabische Gewänder und Kopfbedeckungen sowie billige Schuhe und schwarz gefärbte Schnurrbarte, klapprige Autos mit Gebetsperlen am Rückspiegel und dazu arabische Musik in voller Lautstärke aus dem Radio. Manche Leute waren eben so veranlagt, dass sie sich nur für diese Art von Einsatz interessierten. Und als Hoffman erkannte, dass er seinen Schützling doch nicht aufhalten konnte, hatte er ihm eine Aufgabe übertragen, bei der er tatsächlich etwas bewirken konnte.
«Ihr Job ist es, den Maschinen Futter zu geben», hatte er zum Abschied zu Ferris gesagt. Und Ferris begriff erst, was er damit meinte, als er auf dem Luftwaffenstützpunkt in Balad, etwa achtzig Kilometer nördlich von Bagdad, ankam. Dort waren die «Prädator»-Drohnen des Geheimdienstes stationiert, und die meisten CIA-Mitarbeiter verbrachten ihre Tage damit, «Predator-Pornos» zu gucken, wie sie es nannten. Gemeint waren die Echtzeit-Bilder von den Kameras der drei unbemannten Drohnen, die träge über dem Irak kreisten und dabei ständig ihre Informationen zur Erde funkten. Kurz nach Ferris’ Eintreffen in Balad führte ihn der Kommandeur des Stützpunkts in die Einsatzzentrale und zeigte auf einen riesigen Bildschirm hoch über ihnen.
«Meine Staragenten», verkündete er. Unter dem Bildschirm prangten drei Namen in militärüblichen Großbuchstaben: «CHILI», «SPECK» und «NITRAT». Es hätten ebenso gut die Namen von Haustieren oder Comicfiguren sein können, doch es waren die Codebezeichnungen der drei Aufklärungsdrohnen, die von Balad aus eingesetzt wurden. Ein kleinerer Bildschirm zeigte die Übertragungen dreier weiterer Drohnen aus Afghanistan: «PACMAN», «SKYBIRD» und «ROULETTE». Selbst wenn man nicht genau wusste, was man da vor sich hatte, fesselten einen die Bilder augenblicklich. Auf dem irakischen Bildschirm sah Ferris einen dunklen Wagen von einer zweispurigen Straße auf einen schmalen Weg abbiegen, der mitten in die Wüste hineinführte. Der Predator folgte ihm gemächlich in gut dreihundert Metern Höhe, wo er weder zu hören noch zu sehen war. Ferris wollte wissen, wo sich dieser Wagen genau befand.
«Im Westirak, nahe der syrischen Grenze», erklärte der Kommandeur. «Wir vermuten, dass er eine wichtige Zielperson abgeholt hat.» Sie standen etwa zehn Minuten lang nebeneinander und sahen dem Wagen zu, dann wurde der Bildschirm plötzlich schwarz. Der Kommandeur redete kurz mit dem Mann am Kontrollpult, dann sagte er an Ferris gewandt: «Fehlanzeige», was letztlich nur bedeutete, dass die Zielperson, wer immer sie auch sein mochte, doch nicht in dem Wagen saß. Und Ferris wurde langsam klar, wo hier das Problem lag.
Dann musste der Kommandeur zu einer Videokonferenz mit Langley und sagte Ferris, er könne solange auf seinem Stuhl am Kommandotisch der Einsatzzentrale Platz nehmen. In dem Raum herrschte stille, aber intensive Aktivität. Die Leute starrten auf lange Reihen von Flachbildschirmen, vor denen sie den Routinetätigkeiten des Planens, Zielsetzens und Auswertens nachgingen. Der Agent, der Ferris am nächsten saß, beobachtete ein halbes Dutzend verschiedener Online-Chatrooms, in denen sich alle möglichen verdächtigen Individuen tummelten. Und dann brach inmitten dieser normalen, eintönigen Geheimdienstarbeit urplötzlich hektische Betriebsamkeit aus, und aller
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