Der Mann, der niemals lebte
ist jetzt nur, dass Sie aus dem Irak verschwinden. Wir müssen davon ausgehen, dass Sie aufgeflogen sind, ganz gleich, ob der Mann nun geplaudert hat oder nicht. Ich will, dass Sie sofort zurück nach Balad gehen. Wenn Sie dort sind, entscheiden wir, ob wir Sie noch mal rausschicken. Sie sind viel zu wertvoll, als dass man Sie verheizen dürfte.»
«Ich gehe nicht weg von hier, Ed. Hier im Irak herrscht Krieg, ich habe Agenten da draußen, die ich nicht im Stich lassen will, bloß weil wir Scheiße gebaut haben. Falls Sie’s nämlich noch nicht gemerkt haben: Wir sind für den ganzen Mist hier verantwortlich.»
«Jetzt werden Sie mir mal nicht sentimental, Roger. Sie sind in Gefahr. Und ich lasse nicht zu, dass ich meinen besten Mann verliere, bloß weil er sich Vorwürfe wegen eines toten Irakers macht und deshalb selbst ins Messer laufen will. Das kommt nicht in Frage, haben Sie mich verstanden?»
«Ich bleibe hier», wiederholte Ferris.
Hoffmans Stimme wurde eiskalt. Er sprach leise und ließ sich seinen Ärger darüber, dass Ferris aufbegehrte, durchaus anmerken.
«Sie gehen morgen zurück nach Balad, Ferris. Das ist ein Befehl. Wenn Sie ihn nicht befolgen, können Sie sich einen anderen Job suchen, falls man Sie nicht sowieso in einem Leichensack nach Hause transportiert. Ist das klar?»
Weil Ferris nicht wusste, was er darauf antworten sollte, unterbrach er die Verbindung, und als Hoffman zurückrief, ging er nicht mehr ran. Allein das konnte ihn schon seinen Job kosten, aber das war ihm in diesem Augenblick egal. Er versuchte zu schlafen, und als ihm das nicht gelang, las er ein paar Seiten in dem abgegriffenen Charles-Dickens-Roman, den er für solche Gelegenheiten dabeihatte.
Am nächsten Morgen holte Bassam Ferris vor der kleinen Villa ab. Ferris trug seinen Thoub und seine Kufija, sodass er auf den ersten Blick aussah wie viele andere Iraker Anfang dreißig. Bassam hatte sich wieder einmal zu viel Gel ins Haar geschmiert, und an seinem blassen Gesicht und den Ringen unter den Augen sah man, dass auch er in der vergangenen Nacht nicht viel geschlafen hatte. Er wirkte sehr nervös, aber da es für einen Iraker eine Frage der Ehre war, sich die Angst nicht anmerken zu lassen, tat er so, als wäre er in Hochstimmung.
«Hey, Boss», sagte er, als Ferris zu ihm in den Wagen stieg. «Alles cool, Mann?»
«Heute kein Englisch, Bassam», antwortete Ferris auf Arabisch. «Das ist zu gefährlich.» Er schaute in den Seitenspiegel. Hinter ihnen war ein BMW mit drei Irakern ziemlich dicht aufgefahren. «Fahr rechts ran und lass ihn überholen», sagte Ferris. Bassam gehorchte stumm. Jetzt plapperte er nicht mehr. Der BMW zögerte eine Sekunde, und Ferris wollte Bassam schon sagen, er solle aufs Gas treten und losfahren, aber im letzten Augenblick zog der Wagen doch noch vorbei. Einer der Insassen sah Ferris dabei direkt ins Gesicht. Mist, dachte Ferris. Sie wissen, wer ich bin. Sie haben mich enttarnt.
«Fahr nach Süden», sagte Ferris. «Zu dem Haus, von dem Nizar uns erzählt hat, dass es das örtliche Hauptquartier seiner Zelle ist. Falls dort jemand ist, lasse ich es von einer Drohne beobachten. Dann können wir überwachen, wer dort kommt und geht.»
«Bist du sicher, Boss?» Bassam wirkte nervös. Vermutlich glaubte er, dass Ferris sein Glück herausforderte. Und damit hatte er ja auch recht, aber Ferris war das egal. Er war immer noch wütend wegen Nizar, dem kleinen, stämmigen Iraker, der ihm vertraut hatte und jetzt tot war. Sie fuhren in südlicher Richtung am Tigris entlang, einem hässlichen, breiten Fluss mit schlammig braunem Wasser.
Bassam wusste, wo er hinfahren musste. Er kannte sogar das Haus – in dieser Gegend des Landes wusste fast jede Familie, wo andere Familien wohnten. Er bog von der Hauptstraße ab und fuhr an einem Olivenhain vorbei auf eine gut anderthalb Kilometer entfernte, erst halb fertiggebaute Villa zu. Die Stille an diesem Morgen war fast unheimlich – kein Auto fuhr auf der Straße, am Himmel flog kein einziger Vögel. Ferris holte sein Satellitentelefon hervor und überprüfte die GPS-Koordinaten, um sicherzugehen, dass er den Leuten in Balad auch den richtigen Ort nennen konnte, wenn er eine Drohne bestellte.
Als sie noch einen halben Kilometer von der Villa entfernt waren, sah Ferris eine kleine Staubwolke, die von einem fahrenden Wagen stammen musste. Ob er sich der Villa näherte oder von ihr wegfuhr, konnte er allerdings nicht erkennen.
«Fahr langsam»,
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