Der Mann, der niemals lebte
beeindruckenden Bauch, dem stacheligen Bürstenschnitt und seinem steifen, selbstgefälligen Gang erinnerte der Leiter der Nahost-Abteilung an einen Football-Coach aus den Fünfzigern. Ferris stand noch unter starken Schmerzmitteln und döste immer wieder ein. Als er aufwachte, merkte er, dass der Direktor ihm die Hand hielt.
«Wie geht es Ihnen, mein Junge?», fragte er.
Ferris stöhnte, und der Direktor drückte ihm die Hand.
«Wir sind sehr stolz auf Sie. Verstehen Sie mich?» Obwohl Ferris keine Reaktion zeigte, fuhr der Direktor fort. «Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, mein Junge. Einen Orden, für besondere Tapferkeit im Einsatz. Der wird nur äußerst selten verliehen. Er ist sehr begehrt.» Ferris spürte, wie ihm etwas Schweres auf die Brust gelegt wurde. Er wollte sich bedanken, bekam aber kein klares Wort heraus. Außerdem redete der Direktor bereits weiter und erzählte etwas von stillen Kämpfern und Helden, die in der Öffentlichkeit niemals wahrgenommen würden. Ferris versuchte gerade, sich eine Antwort zurechtzulegen, als der Direktor erklärte, er werde jetzt besser gehen, damit der Patient sich noch ein wenig ausruhen könne. Zum Abschied sagte er mit betont fröhlicher Stimme: «Erholen Sie sich gut, mein Junge.»Diesmal gelang es Ferris, sich zu bedanken, dann fielen ihm wieder die Augen zu. Bevor er in seinem Medikamentenschlaf versank, sah er die Gesichter der beiden jungen Männer vor sich, die er tot im Irak zurückgelassen hatte.
Ein paar Tage später kam Hoffman ihn alleine besuchen. Ferris fühlte sich inzwischen besser. Er bekam weniger hoch dosierte Schmerzmittel, was allerdings zur Folge hatte, dass sein Bein nun stärker schmerzte. Aber dafür fühlte er sich nicht mehr so benommen.
«Das haben Sie wirklich gut gemacht», sagte der Leiter der Nahost-Abteilung. «Ihr Vater wäre stolz auf Sie gewesen.»
Ferris richtete sich mühsam etwas mehr im Bett auf, um Hoffman besser sehen zu können. «Mein Vater hat die CIA gehasst», sagte er.
«Ich weiß. Trotzdem hätte ihn das mit den Orden nicht kaltgelassen.»
Da war vielleicht etwas dran. Tom Ferris hatte in einer wissenschaftlich-technischen Abteilung der CIA gearbeitet, die Nachrichtenübertragung für mehrere Generationen von Spionagesatelliten entwickelte – und praktisch jede Minute seiner Tätigkeit gehasst. Als er Ende der Siebziger im Rahmen von Stan Turners Großreinemachen gefeuert wurde, ging er in Washington zu der dortigen Niederlassung eines Luft- und Raumfahrtunternehmens – doch zu diesem Zeitpunkt war er bereits starker Alkoholiker, der spät in der Nacht Ferris’ Mutter anbrüllte. Ferris wusste, dass sein Vater sich selbst für einen Versager hielt, für einen einstmals hochbegabten Ingenieur, dessen Talent in der stumpfen, geheimniskrämerischen Bürokratie der CIA vor die Hunde gegangen war. Im Suff hatte er oft lautstark über den Geheimdienst geschimpft. «Mittelmäßige Stümper», lallte er dann. «Elende Heuchler.» Ein früher Herzinfarkt hatte ihn davor bewahrt, mit ansehen zu müssen, dass sein einziger Sohn ebenfalls in den Dienst dieser Heuchler trat. Vielleicht hätte es den Vater ja tatsächlich gefreut, dass sein Junge den Leuten, die ihn so gequält hatten, einen Orden abgeluchst hatte. Aber Ferris bezweifelte das.
«Ich will zurück in den Irak», sagte er.
«Nichts da», erwiderte Hoffman sofort. «Kommt nicht in Frage. Sie sind aufgeflogen. Die Bösen wissen, wer Sie sind. Das können Sie vergessen.»
«Dann muss ich eben kündigen. Entweder Sie schicken mich zurück, oder ich suche mir einen anderen Job.»
«Seien Sie doch nicht kindisch, Roger. Und drohen Sie mir nicht, das bringt gar nichts. Ich habe sowieso was ganz anderes für Sie. Was würden Sie davon halten, mir hier in den Staaten ein bisschen zur Hand zu gehen bei einer … sagen wir mal, etwas unkonventionelleren Geschichte?»
«Hier in der Zentrale? Auf keinen Fall. Wenn Sie einen Bürohengst aus mir machen wollen, dann kündige ich nicht mal mehr. Dann desertiere ich.»
«Keine Angst, mit Büroarbeit hat das nichts zu tun. Diese Geschichte ist so ungewöhnlich, dass offiziell niemand etwas davon weiß. Es würde Ihnen gefallen, glauben Sie mir. Genau das Richtige für einen Unruhestifter wie Sie.»
«Und was ist das für eine Geschichte?»
«Das kann ich Ihnen erst sagen, wenn Sie mit im Boot sind.»
«Dann vergessen Sie’s. Ich will wieder in den Irak. Entweder das, oder ich bin draußen.»
«Hören Sie auf mit
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