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Der Mann, der niemals lebte

Titel: Der Mann, der niemals lebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ignatius David
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Botschaftsempfängen herumstehen würden. Ferris hatte in allen Kursen geglänzt. Er war nicht nur sehr sportlich – was bei den körperlich ausgerichteten Aufgaben wie Nahkampf ein großer Vorteil war –, seine Ausbilder bescheinigten ihm darüber hinaus, er sei »wie geschaffen für das Anwerben von Informanten«.
    »Sie waren ein Star«, fuhr Hoffman fort. »Aber das war es gar nicht, was mich an Ihnen fasziniert hat. Es gibt mehr als genug Musterschüler von der Farm, die später als Agenten eine echte Katastrophe sind. Das ist wie im richtigen Leben: Wer auf der Highschool glänzt, muss später nicht zwangsläufig erfolgreich sein. Mich hat an Ihnen etwas ganz anderes gefesselt. Etwas, was man so selten sieht, dass ich schon dachte, es wäre in unserem Beruf ganz ausgestorben.«
    »Nun sagen Sie schon. Was war es?«
    »Sie waren ein Naturtalent. Anders kann ich das nicht ausdrücken. Sie standen noch ganz am Anfang und wussten trotzdem schon genau, wie der Hase läuft. Sie hatten erkannt, dass es da draußen jede Menge Dreckskerle gibt, die bloß drauf aus sind, möglichst viele Amerikaner umzulegen. Sie hatten sich mit denen beschäftigt, hatten ihre Sprache gelernt und nie daran gezweifelt, dass die es auf uns abgesehen haben – was man damals von neunundneunzig Prozent der Leute bei der CIA nicht behaupten konnte. Und Sie kamen aus dem Journalismus. Die meisten Leute, die bei uns anfangen, waren vorher bei den Marines oder beim FBI oder sonst irgendwo, wo sie gelernt haben, Befehle zu befolgen und zu tun, was ihr Vorgesetzter von ihnen verlangt. Sie hingegen passten überhaupt nicht in dieses Muster. Sie waren ein blitzgescheiter, rebellischer Jungspund, der an der Uni Arabisch gelernt und dann ausgerechnet für das Time Magazine gearbeitet hat. Und der trotzdem gemerkt hat, dass die gottverdammte Hütte längst brennt und er was dagegen tun muss. Das hat mir so gefallen an Ihnen. Sie hatten kapiert, was los war. Das ist bis heute so.«
    »Ich dachte, Sie können Reporter nicht ausstehen.«
    »Stimmt auch. Alles Versager. Aber Sie mag ich.«
    Kopfschüttelnd dachte Ferris an all die Aufschneider und Hobby-Generäle zurück, mit denen er beim Time Magazine zusammengearbeitet hatte. Als er 1991 bei der Zeitschrift anfing – das Nachrichtengeschäft stand noch in voller Blüte hatte man ihn in Detroit stationiert, damit er von dort über das langsame Sterben der amerikanischen Automobilindustrie berichtete. Ferris hatte sich zu Tode gelangweilt und nach einem Jahr wieder kündigen wollen. Die Time- Bosse hatten ihn dadurch bei der Stange gehalten, dass sie ihm aufgrund seiner Arabischkenntnisse eine Stelle als Auslandsberichterstatter in Aussicht stellten, ihn dann aber doch bloß als Wall-Street-Korrespondenten zurück nach New York holten. Das war noch viel langweiliger als Detroit, und diesmal hätte Ferris ganz sicher gekündigt, wenn die Zeitschrift ihn nicht beauftragt hätte, einen kurzen Artikel über die radikalen Muslime zu schreiben, die 1991 im Zusammenhang mit dem missglückten Anschlag auf das World Trade Center zum ersten Mal ans Licht der Öffentlichkeit geraten waren. Ferris hatte arabische Zeitungen gelesen, Moscheen besucht und mit den dort lehrenden religiösen Führern gesprochen. Dabei war für ihn eines immer offensichtlicher geworden: Diese Leute hassten die Amerikaner. Sie wollten nicht mit ihnen verhandeln, sie wollten sie töten. Ferris wusste, dass er auf eine wichtige Erkenntnis gestoßen war, doch Time hatte ihm für seinen Artikel nur tausend Wörter zugestanden. Als er sich beschwerte, hielt sein Redakteur ihm einen Vortrag über »Teamfähigkeit«. Ferris dachte darüber nach, ein Buch über den radikalen Islamismus zu schreiben, aber er fand keinen Verlag, der ihm dafür einen Vorschuss gegeben hätte.
    Also kündigte er, ging zurück an die Universität und begann ein Promotionsstudium. Das war für ihn die einzige Möglichkeit, etwas weiterzuverfolgen, was ihm längst zur Obsession geworden war. Seine Arabisch-Dozenten an der Columbia freuten sich, ihn wiederzuhaben, auch wenn es ihnen nicht ganz recht war, dass er sich so ausführlich mit den islamistischen Extremisten beschäftigte, anstatt das Schicksal der unterdrückten Palästinenser zu beklagen. Und dann, ein halbes Jahr später, kam es zu einer jener belanglosen Begegnungen, die im Rückblick wirken, als wären sie vorbestimmt: Ein ehemaliger Dekan, der beschlossen hatte, Ferris ein wenig unter seine Fittiche zu

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