Der Mann, der niemals lebte
nehmen, lud ihn zum Mittagessen ein und fragte ihn beim Kaffee, nachdem er eine Weile um den heißen Brei herumgeredet hatte, ob er sich nicht vielleicht vorstellen könne, für die Central Intelligence Agency zu arbeiten. Erst musste Ferris lachen. Ob er sich das vorstellen könne? Du lieber Himmel, genau davor rannte er doch schon sein Leben lang davon. Aber dann traf ihn plötzlich die Erkenntnis: Hör auf davonzurennen. Das ist dein Leben. Und jetzt, zehn Jahre später, lag er mit einem Stahlnagel im Bein in einem Krankenhausbett und bettelte darum, wieder zurück an die Front geschickt zu werden.
Hoffman grinste ihn an. »Wissen Sie noch, was Sie bei dieser ersten Begegnung zu mir gesagt haben?«
Ferris versuchte, sich zu erinnern. Am Tag nach der Abschlussprüfung auf der Farm hatte der Ausbildungsleiter ihn zu sich bestellt und ihm gesagt, dass der Leiter der Nahost-Abteilung ihn kennenlernen wolle. Und zwar sofort. Es klang, als wäre es eine ziemlich große Sache. Und Ferris, der eigentlich geplant hatte, eine Woche Urlaub in Florida zu machen und nur in der Sonne zu liegen und Bier zu trinken, heizte wie ein Wahnsinniger mit voll aufgedrehtem Radio über die I-95 nach Langley und hielt sich für wahnsinnig cool. Als er in der CIA-Zentrale ankam, schickte man ihn hinauf in den vierten Stock. Auf dem Weg nach oben stellte Ferris mit Ernüchterung fest, was für ein stinknormales Büroleben hier in der Zentrale herrschte. Die schwarzen Bretter mit ihren Ankündigungen und Kleinanzeigen erinnerten ihn irgendwie an die Highschool, und überall in den Gängen hingen kleine Schildchen mit Aufschriften wie »Büromaterial« oder »Sicherungskasten«, damit nur ja niemand aus Versehen eine falsche Schranktür öffnete. Auf der Farm hatte man ihnen eingebläut, dass sie zu Mitarbeitern des besten Geheimdienstes der Welt ausgebildet würden, doch als Ferris die übergewichtigen, hohläugigen Männer und Frauen sah, die durch die Flure der Zentrale schlichen, begann er ernsthaft daran zu zweifeln und fragte sich, ob er vielleicht gerade dabei war, den größten Fehler seines Lebens zu machen.
Dann lernte er Ed Hoffman kennen. Schon das schiere Ausmaß dieses Mannes beeindruckte ihn auf den ersten Blick. Dabei war Hoffman eigentlich gar nicht dick, sondern einfach nur massig – ein Mensch, der unwahrscheinlich viel Raum beanspruchte, selbst wenn er nur an einem Schreibtisch saß. Obwohl er bestimmt schon Anfang fünfzig war, trug er das Haar so raspelkurz wie ein Rekrut bei den Marines. Als Ferris sein Büro betrat, musterte Hoffman ihn über den Rand seiner Lesebrille hinweg mit einer Mischung aus Gereiztheit und Erstaunen, als habe er total vergessen, dass er Ferris herbestellt hatte. Aber dem war gar nicht so. Hoffman war einfach nur neugierig.
Und nun saß derselbe Mann an Ferris’ Bett im Walter-Reed- Krankenhaus und wartete auf eine Antwort. Er war inzwischen noch etwas massiger geworden, vor allem um die Körpermitte herum, aber in seinen Augen lag immer noch dieses Funkeln, diese Beweglichkeit, die gar nicht recht zu seiner Körperfülle passen wollte.
»Wenn ich ehrlich bin, Ed, erinnere ich mich an nichts mehr, was ich an dem Tag zu Ihnen gesagt habe, außer vielleicht «Ja, Sir» und «Nein, Sir». Ich wollte einen guten Eindruck machen. Ich weiß noch, dass Sie mir erzählt haben, wir hätten etwas gemeinsam, nämlich eine CIA-Niete in der Familie. So hatte noch nie jemand in meiner Gegenwart über meinen Vater geredet, obwohl es ja stimmte. Und Sie haben mir von Ihrem Onkel Frank erzählt, der in Beirut stationiert war, bis er so sauer auf seinen Boss wurde, dass er gekündigt hat. Das hat mir gefallen. Was macht Ihr Onkel Frank denn inzwischen?«
»Spielt Golf in Florida, wie alle anderen auch. Aber Sie weichen meiner Frage aus, Roger. Wissen Sie noch, was Sie am Ende unseres Gesprächs zu mir gesagt haben, nachdem ich Sie über die Islamistengruppen ausgefragt und wir uns über bin Laden unterhalten hatten? Sie waren damals der Einzige in der ganzen Klitsche, der überhaupt wusste, wer das ist, dabei hatten Sie noch nicht mal Ihren ersten Gehaltsscheck in der Tasche. Können Sie sich daran erinnern, was Sie am Ende dieses Gesprächs zu mir gesagt haben, nachdem ich Ihnen erklärt hatte, dass ich Sie in den Jemen schicken würde, damit Sie dort weiter an der al-Qaida-Sache arbeiten können? Wissen Sie noch, was Sie da gesagt haben?«
»Keine Ahnung, Ed, ehrlich nicht. Das ist so lange
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