Der Mann, der niemals lebte
dem Quatsch. Werden Sie endlich erwachsen. Der Irak ist nicht drin, das habe ich Ihnen schon gesagt. Sie machen einen Fehler, wenn Sie mein Angebot ablehnen, aber das ist Ihr Problem. Wenn Sie unbedingt wieder ins Ausland wollen, kann ich Ihnen das Nächstbeste nach Bagdad anbieten, nämlich Amman. Das ist im Grunde sogar noch viel besser, weil Sie dort echte Operationen durchführen können, anstatt ständig in Deckung zu gehen und zu hoffen, dass Ihnen keiner die Birne wegpustet. Ich bin bereit, Sie als stellvertretenden Chef des dortigen Büros einzusetzen, wovon Sie in Ihrem Alter eigentlich nicht mal träumen dürften. Also halten Sie jetzt gefälligst die Klappe. Oder nein, halten Sie nicht die Klappe. Sagen Sie: (Danke, Ed, Amman ist super, ich weiß Ihr Vertrauen wirklich zu schätzen.)»
Ferris rieb sich die Bartstoppeln. «Wann geht’s los? Vorausgesetzt natürlich, ich entscheide mich für Amman.»
«Sobald Sie wieder laufen können, ohne auf die Nase zu fallen. Was nach allem, was ich so höre, in etwa einem Monat der Fall sein dürfte.»
Ferris sah aus dem Fenster. Auf der 16th Street, hinter der Rasenfläche vor dem Krankenhaus, staute sich mal wieder der Verkehr: Lieferwagen von Pizza-Hut und FedEx sowie jede Menge Pendler, die es eilig hatten, nach Hause zu kommen, um ihre Lieblingssendung im Fernsehen nicht zu verpassen. Amerika war so fürchterlich normal, und das blutige Chaos im Irak kam Ferris auf einmal so vor, als spielte es sich auf einem anderen Planeten ab. Er schaute wieder zu seinem Vorgesetzten hinüber, der offensichtlich auf eine Antwort wartete. Trotz der Bear-Bryant-Pose war Hoffman auch nicht anders als die anderen. Er wollte gute Neuigkeiten hören. Aber Ferris war nicht in der Stimmung. Dazu tat ihm das sein Bein zu weh.
«Wir sind im Begriff, diesen Krieg zu verlieren, Ed. Das ist Ihnen doch wohl klar?»
«Natürlich ist mir das klar, vorausgesetzt, Sie meinen unseren kleinen Krieg da unten im Irak. Den großen Krieg, den verlieren wir nicht, zumindest haben wir ihn bis jetzt noch nicht verloren. Und damit meine ich den Krieg, der sich überall abspielen kann, von Los Angeles bis nach Bangor in Maine, und der den ganz normalen Leuten solche Angst einjagen wird, dass sie sich in die Hosen machen. In diesem Krieg haben wir jetzt noch die Oberhand. So gerade noch. Und deshalb brauche ich Sie in Amman, Roger. Im Irak haben Sie uns einen echten Knaller geliefert, bevor Ihnen das Bein zerfetzt wurde. Wir wissen jetzt, dass Süleymans Netzwerk existiert. In den letzten paar Tagen haben wir aus anderen Quellen zusätzliche Hinweise darauf bekommen. Wir müssen diesen Mann unschädlich machen. Unbedingt. Also hören Sie endlich auf, in Selbstmitleid zu versinken, und sehen Sie zu, dass Sie wieder gesund werden. Machen Sie Ihre Physiotherapie, und wenn Sie wieder auf dem Damm sind, dann schicke ich Sie so bald wie möglich los … und zwar nach Amman. Haben wir uns verstanden?»
Ferris lächelte schwach. «Habe ich denn eine andere Wahl?»
»Nein.« Hoffman stand auf und wandte sich zum Gehen, entschloss sich dann aber anders und setzte sich wieder hin. Er kniff ein Auge zu, als peile er etwas in weiter Ferne an. »Wissen Sie noch, wie Sie zum ersten Mal zu mir ins Büro gekommen sind, kurz nachdem Sie aus der Farm raus waren?«
»Natürlich. Sie haben mir eine Heidenangst eingejagt.«
»Sie kleiner Schmeichler. Aber wissen Sie was? Seit dieser ersten Begegnung wollte ich, dass Sie für mich arbeiten. Soll ich Ihnen sagen, warum? Da war zunächst mal Ihr Abschlusszeugnis von der Farm. Sie haben sich in der Ausbildung richtig gut geschlagen. Sie waren überall der Beste.«
Ferris nickte. Als er Hoffman kennenlernte, hatte er erst wenige Tage zuvor in dem Trainingszentrum, das überall nur »die Farm« genannt wurde, seine Ausbildung abgeschlossen. Die Farm war vermutlich das am wenigsten geheime Übungsgelände eines Geheimdienstes, das es gab. Es war ein weitläufiges, abgezäuntes Gebiet im sumpfigen Marschland nahe Williamsburg, wo es von Schlangen und Ungeziefer ebenso wimmelte wie von ausgebrannten Agenten, die als Ausbilder abkommandiert worden waren, nachdem ihre Tarnung aufgeflogen war. Für Ferris war die Farm eine Art überbewertetes Pfadfinderlager gewesen: Es gab Kurse im Kartenlesen, Hochgeschwindigkeitsfahren, Zielschießen und sogar Fallschirmspringen, wobei niemand den Auszubildenden sagte, dass sie später doch nur die meiste Zeit auf irgendwelchen langweiligen
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