Der Mann, der niemals lebte
so weich und fein wie das Haar eines Babys. Er zog sie an sich. Einen Augenblick lang erstarrte sie, dann entspannte sie sich und hob ihm den Mund entgegen. Er küsste sie sanft, seine Lippen lagen nur leicht auf ihren. Sie öffnete den Mund, und ihre Zungenspitzen berührten sich. Erregt drückte Ferris sie fester an sich.
Erst riss Alice die Augen auf, schloss sie dann aber wieder. »Jetzt noch nicht«, hauchte sie. »Ich muss dir doch erst noch Abendessen machen.«
Alice bereitete das Steak, die Kartoffeln und die Limabohnen zu, die die Haushälterin vom Markt mitgebracht hatte. Beim Kochen sang sie mit erstaunlich guter Stimme »It’s Raining Men«. Ferris hatte das Gefühl, noch nie jemandem begegnet zu sein, der so unbefangen war wie sie, und er versuchte sich vorzustellen, wie eine solche Frau wohl im Bett sein würde.
Sie sah seinen Gesichtsausdruck. »Komm, mach dich mal nützlich und öffne den Wein«, sagte sie, und Ferris begab sich auf die Suche nach dem Korkenzieher.
Sie aßen draußen auf der Terrasse. »Mach das Licht aus«, befahl Alice. Diese Seite der Wohnung lag geschützt und von der Stadt abgewandt, und in der tintenschwarzen Wüstennacht schien es, als könnte man jeden einzelnen Stern am Himmel sehen.
»Gib mir deine Hand«, sagte Alice.
»Warum denn?« Ferris war hungrig.
»Weil wir zuerst das Tischgebet sprechen müssen. Hör gut zu, Roger. Dieses Gebet wird in meiner Familie seit dreihundert Jahren gesprochen, und ich möchte es heute sagen, weil das ein ganz besonderer Abend ist. Also, schließ die Augen und hör zu. Herrgott, himmlischer Vater, segne uns und diese Gaben, die wir von Deiner milden Güte zu uns nehmen werden durch Christus, unsern Herrn. Amen. Sag Amern.«
»Amen«, sagte Ferris.
Sie drückte ihm die Hand und ließ sie dann wieder los. Ferris öffnete die Augen und sah sie an. Plötzlich hatte er ein schlechtes Gewissen. Sie war so liebevoll, so offen, und er war in einem wichtigen Punkt nicht ehrlich zu ihr gewesen – vielleicht im wichtigsten Punkt überhaupt. Während des Essens erzählte Alice weiter von ihrer Reise in die Heimat. Ihr Steak und die Kartoffeln verzehrte sie mit Appetit, aber die Limabohnen ließ sie übrig. Als sie fertig war, schob sie den Teller beiseite und schaute versonnen zu den Sternen hinauf. Dann sah sie Ferris wieder an, streifte einen Schuh ab und strich ihm sanft mit den nackten Zehen über das Schienbein.
»Ich muss dir etwas sagen«, setzte Ferris verlegen an.
»Was denn? Stehst du etwa nicht auf Frauen?« Sie kicherte.
»Es ist etwas Ernstes.«
»Oh, wie spannend. Heraus damit.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll, und irgendwie ist es mir auch furchtbar unangenehm. Aber ich bin verheiratet.«
»Das weiß ich doch.« Sie schüttelte den Kopf. »Mein Gott! Für wie blöd hältst du mich eigentlich?«
»Woher weißt du das denn? Ich habe nie davon gesprochen. Und seit ich dich kenne, trage ich auch meinen Ehering nicht mehr.«
»Es ist doch offensichtlich. Ein Junggeselle hätte schon bei der ersten Verabredung versucht, mich flachzulegen. Du warst viel geduldiger. Reifer. Wie ein verheirateter Mann eben. Das war das eine.«
»Dabei wollte ich dich schon bei der ersten Verabredung flachlegen, und auch bei der zweiten und bei der dritten.«
»Das war auch nicht das Einzige. Du strahlst so etwas Trauriges aus, selbst wenn es dir gut geht. Als würdest du etwas brauchen, was dir irgendjemand vorenthält. Nicht Sex, sondern Liebe. Und das signalisiert für mich: unglücklich verheiratet.«
»Stimmt. Ich brauche Liebe. Und ich bin tatsächlich unglücklich verheiratet.« Er wollte nach ihrer Hand greifen, aber sie entzog sie ihm.
»Außerdem habe ich mich erkundigt.«
»Was soll denn das heißen?«
»Ich habe mich bei der Botschaft erkundigt. Eine der Sekretärinnen dort macht mit mir Yoga. Der habe ich erzählt, ich hätte diesen wahnsinnig süßen Typen namens Roger Ferris kennengelernt, und sie hat gesagt: ‹Sieh dich vor, der ist verheiratet.) Daher weiß ich es eigentlich. Aber alles andere stimmt auch. Und deshalb habe ich auch so lange gewartet. Ich wollte sicher sein, dass du den ganzen Aufwand wert bist.«
»Du bist also nicht sauer auf mich, weil ich dir nicht gleich gesagt habe, dass ich verheiratet bin?«
»Nein. Jetzt hast du es mir ja gesagt. Sonst wäre ich vielleicht auch nicht bereit gewesen, mit dir zu schlafen. Oder nein, das stimmt nicht. Das hätte ich trotzdem
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