Der Mann, der niemals lebte
der MacDill Air Force Base angerufen. Es wird allerdings wohl ein paar Wochen dauern, bis der Junge bei uns eintrudelt. Sie sind dann längst wieder im Ausland, deswegen müssen Sie uns freie Hand geben. Keine Angst, Sami und ich werden ihm eine erstklassige Legende basteln. Einen Namen habe ich schon. Harry Meeker. Den haben wir vor ein paar Jahren mal für einen anderen Einsatz entwickelt, dann aber nie verwendet. Gefällt er Ihnen?«
»Solange er nicht Roger Ferris heißt, ist mir alles recht.«
»Sami und ich haben uns schon ein paar Gedanken darüber gemacht, wie wir ihm die perfekte Tarnung verpassen, und finden, dass wir noch ein paar Nebenschauplätze brauchen, um diese taqiyya-Geschichte wirklich plausibel zu machen. Wir müssen die Kerle so richtig in den Wahnsinn treiben – sie glauben machen, dass ihre ganze Welt zusammenbricht. Deshalb muss unser Täuschungsmanöver sehr vielschichtig sein. Jede einzelne Schicht muss die anderen stabilisieren und ihnen zusätzliche Glaubwürdigkeit verleihen. Gelingt uns das nicht, riecht Süleyman ganz schnell den Braten. Klingt das einleuchtend?«
»Absolut«, sagte Ferris. »Aber bei diesen Nebenschauplätzen möchte ich auch ein Wort mitreden.«
»Kein Problem, Roger. Genaugenommen werden Sie sogar die meiste Arbeit machen. Ich bin zu alt für so was, und Sami ist zu abgedreht. Bleiben also nur noch Sie. Sami, erklären Sie unserem Kandidaten doch mal, welchen Preis er gerade gewonnen hat.«
Hoffman dimmte mit einem Schalter neben der Tür das Licht im Raum, und Azhar trat an den Computer vor der Projektionsleinwand. Ein Beamer flammte auf, und die Silhouette seines Lockenkopfes zeichnete sich schwarz vor der hellerleuchteten Leinwand ab.
Langley
Sami Azhar rückte die Brille auf der Nase zurecht und markierte auf seinem Computerbildschirm die Informationen, die er den anderen beiden zeigen wollte. Einen Augenblick lang schien er ganz in dieser Aufgabe aufzugehen und irgendwo im Nirgendwo zwischen dem Hier und Jetzt und der kleinen Grundschule in Kairo zu schweben, in der er seine Lehrer vor langer Zeit mit seiner Fähigkeit erstaunt hatte, lange Zahlenreihen im Kopf zu multiplizieren. Ferris sah ihn an und dachte, dass er vielleicht einem jener Flüchtlinge glich, die England und Amerika dabei geholfen hatten, den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen. Da er in Kairo aufgewachsen war, musste er die Spaltung der islamischen Welt durch den fundamentalistischen Terror irgendwie vorausgesehen und sich überlegt haben, wie er ihr entkommen konnte. Das allerdings hatte sich als Illusion herausgestellt, denn der Terror kannte keine Landesgrenzen.
»Sie sind sicherlich damit einverstanden, wenn ich gleich mit unserem Zielobjekt beginne«, sagte Azhar. »Schon Monate, bevor Sie den Namen Süleyman im Irak zum ersten Mal gehört haben, hat das Team hier sich bereits mit ihm befasst. Und so wissen wir mehr über den feinen Herrn, als Sie vielleicht denken.«
Azhar klickte mit der Maus, und ein erstes Foto erschien auf dem Bildschirm. Es zeigte einen hageren Araber mit sauber gestutztem Bart und einer gestrickten, weißen Gebetskappe auf dem Kopf. Er hatte ein intelligentes Gesicht, das eher an einen ernsthaften, asketischen Gelehrten als an einen brutalen Killer denken ließ. Was Ferris besonders faszinierte, war die Intensität seines Blicks. Seine Augen wirkten wie kleine Feuerbälle der Wut.
»Es war ein echter Glücksfall, dass wir dieses Foto bekommen haben. Es stammt aus einem alten Pass, den er verloren hat, bevor er in den Untergrund ging. Jetzt ist er nicht mehr greifbar, ist überall und nirgends. In den radikalen Moscheegemeinden flüstert man seinen Namen, als wäre er ein Phantom. Sie schreiben Gedichte über ihn, und wir haben sogar ein paar selbst gebrannte CDs gefunden, auf denen von seinen Abenteuern erzählt wird. Aber er selbst hinterlässt keine Spuren. In der unüberschaubaren Welt der al-Qaida ist er einer der wichtigsten Planer von Terroranschlägen geworden. Er hat die Kämpfer von 1996 aus Kabul mit den Kämpfern von 2006 aus Bagdad zusammengebracht. Süleyman ist das Bindeglied zwischen der alten und der neuen al-Qaida. Sie, Ferris, haben nach ihm gesucht, wir haben nach ihm gesucht, und die Jordanier suchen ebenfalls nach ihm, aber bisher hat ihn niemand gefunden.«
Ferris betrachtete das Gesicht und versuchte, es sich einzuprägen. Ein Teil von ihm war stinksauer, weil Hoffman ihm diese Information so viele Monate lang vorenthalten hatte,
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