Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman
Cooper, aber ich kann Ihnen leider kein Zimmer geben.« Harold wandte dem jungen Mann den Rücken zu, leerte einen Spucknapf in den Ausguss und wischte den Napf mit seiner Schürze durch.
Cooper hob die Augenbrauen. »Heißt das, dass Sie kein Zimmer mehr frei haben? Oder heißt es, Sie geben mir keins?«
Harold drehte sich um, wollte etwas erwidern. Dann aber zuckte er plötzlich zusammen und ging in Deckung. Im gleichen Augenblick flog ein Bierglas heran, zerschellte am Tresen neben Cooper. Glassplitter und Bier spritzten in alle Richtungen, trafen Cooper, Harold und auch Tom. Der Indianer schreckte aus seinem Schlaf, und der kleine schwarze Junge, der den Boden fegte, flüchtete mit einem raschen Sprung in eine Ecke und suchte Schutz hinter einem Fass. Dann herrschte einen Moment lang Stille.
»Du hast gehört, was er gesagt hat, Nigger. Und jetzt mach, dass du hier rauskommst, bevor ich mich vergesse.« Es war Jebs großer Begleiter, der leise gesprochen hatte. Der Bierkrug stand nicht mehr vor ihm. Der Hüne mit dem roten Bart glotzte immer noch geradeaus, als müsste er sich konzentrieren, um den Farbigen nicht anzublicken.
Der schluckte. Er zitterte plötzlich, hielt sich mit einer Hand an der Messingstange fest, die um den Tresen herumlief, und griff mit der anderen ganz langsam nach seiner Reisetasche am Boden. Sein Blick blieb dabei über den stumpfen Spiegel auf die beiden Veteranen hinter ihm gerichtet.
Mit bleichem Gesicht tauchte Harold im gleichen Moment wieder hinter dem Tresen auf. »Dale, du verfluchter Drecksack! Ich war doch schon dabei, ihn wegzuschicken! Was fällt dir ein, verdammt noch mal?!«
»Er soll gehen, Harold. Sag ihm, dass er jetzt lieber schnell gehen soll, sonst wird Dale böse!«, zischte Jeb in Richtung Tresen.
Der Wirt nickte Cooper zu. »Sie haben’s gehört, Mister, vielleicht ist es ja besser … Ich meine, bevor …«
Cooper nickte. »Ist gut, Sir. Ist gut, ich gehe.«
»Ja, geh zu deinen Niggerfreunden, und sag ihnen, dass wir hier keine Nigger haben wollen!«, schrie Jeb aufgebracht. »Sag ihnen das! Sonst geht’s dir und ihnen so wie dem Niggerfreund Lincoln, verstanden?«
Cooper hatte immer noch die Hand auf die Messingstange gelegt, um das Zittern in den Griff zu bekommen. Dann straffte er sich, um den Saloon zu verlassen.
»Moment.« Tom legte eine Hand auf Coopers Handgelenk.
Der junge Schwarze blickte an seinem Ärmel hinab und sah Tom verständnislos an. In seinen Augen stand Angst.
Tom ließ dessen Handgelenk los, tätschelte ihm kurz den Handrücken, dann schwang er auf dem Barhocker herum und grinste in die Ecke, in der die Veteranen saßen. »Du bist also Dale. Ja?«
Dale blinzelte. Er neigte den Kopf ein klein wenig zur Seite und heftete den Blick auf Tom, ohne zu antworten.
»Dale, hm? Das ist lustig, weißt du, Dale? Dale ist doch eigentlich ein Mädchenname. Also, hier in St. Petersburg ist das zumindest so. Als ich ein kleiner Junge war, hatten wir hier im Ort ein Mädchen, das hieß Dale. Dale Porter. Sie war klein, picklig und nicht besonders schlau. Ein bisschen wie du, Dale. Bist du auch ein Mädchen? Ich meine, wenn du einen Mädchennamen trägst?«
Jeb sog zischend die Luft ein und blickte erschrocken zu Dale. Harold und Cooper musterten Tom erstaunt. Dale hingegen sagte gar nichts, sondern starrte weiter geradeaus. Seine kräftigen Pranken umfassten die Tischkante.
Tom wusste, dass der Whiskey ihm die Zunge schwer gemacht hatte, aber er hörte nicht auf zu reden. »Vielleicht fehlt dir ja was? Da unten, meine ich?« Tom ließ den Zeigefinger in Hüfthöhe kreisen. »Vielleicht magst du ja auch Jungs? Ich meine, wer Dale heißt und einen so hübschen Mann dabeihat wie Jeb? Wollt ihr zwei Liebchen das Zimmer von Mr Cooper hier vielleicht selber haben, um eine rauschende Nacht …«
Weiter kam Tom nicht. Mit einem Grunzen, das zu einem Schrei wurde, packte Dale den Tisch und schleuderte ihn in Toms Richtung.
Harold schrie ebenfalls auf.
Tom und Cooper wichen aus, als der Tisch am Tresen zerschellte. Dale sprang auf und stürmte auf ihn zu, den Kopf gesenkt, als wollte er Tom einfach durch den Tresen rammen. Tom lächelte grimmig. Er machte einen Schritt zur Seite, versetzte Dale einen Stoß in den Rücken, sodass der noch mehr Schwung bekam, und im nächsten Augenblick krachte Dale mit dem Kopf gegen den Tresen.
Tom hob die Whiskey-Flasche und hieb sie Dale auf den Schädel. Das Glas zersprang, und Dale ging mit einem Ächzen
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