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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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Weitem beobachtet, wie der Kerl mit Floyd redete. Gestern Abend, als er länger arbeiten musste, hatte Caleb gesehen, wie der Vorarbeiter dem Mann etwas zu essen brachte und der Kerl daraufhin mit seinem Gewehr die Sägemühle bewachte. Offensichtlich versorgte Floyd Dale mit Essen, und offensichtlich arbeitete Dale als eine Art Nachtwächter.
    Tom dachte an die Nächte in Chicago, als er auf dem Eisenbahndepot der Fort Wayne und Chicago Railroad Wache geschoben hatte. Es war kühl gewesen, genau wie jetzt. Toms Atem bildete kleine Wölkchen vor seinem Mund.
    Dale war allein, er war nicht sonderlich schlau, und er war auch nicht sonderlich schnell. Aber wenn er einen einmal in der Mangel hatte, gab es kein Entkommen. Tom würde schnell und schlau sein müssen, um Dale zu erwischen. Er hatte einen Plan, aber damit der funktionierte, musste Dales Gewehr verschwinden, und Tom betete, dass er nicht auch noch einen Revolver hatte.
    Beten. Vielleicht half das ja.
    Tom griff nach Tante Pollys Schürhaken, den er dabeihatte, verließ seinen Beobachtungsposten am Felsen und schlich sich zwischen den Sumachsträuchern hinunter zu der Ebene, wo die Holzstapel das Straßennetz bildeten. Er tauchte ein in die Gassen aus aufgeschichteten Brettern, die, durch kleine Hölzchen voneinander getrennt, in der Luft trockneten. Tom lief in gebückter Haltung, bis er um eine Ecke spähen und einen Blick auf Dale und auf die Mühle werfen konnte. Dale biss gerade in ein Sandwich, trank dann einen kräftigen Schluck aus einer Feldflasche und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab.
    Er bemerkte Tom nicht.
    Das musste sich ändern.
    Tom sah sich auf dem Boden um. Der Mond war zwischen den grauen Wolken hervorgekommen und warf einen silbrigen Glanz auf die Rindenabfälle, die Holzsplitter und das Sägemehl zwischen den Stapeln. Zwischen der Rinde und dem Sägemehl lag eines der Hölzchen, die die Bretter voneinander trennten. Tom hob es auf und warf es in hohem Bogen in eine der angrenzenden Gassen. Schnell duckte er sich und spähte wieder um die Ecke.
    Dale stutzte. Er legte das Sandwich beiseite, erhob sich, griff nach hinten an seinen Hosenbund und zog sich die Hose hoch. »Hallo?«
    Als er keine Antwort bekam, schnappte Dale sich sein Gewehr und machte sich auf in die Gasse, um nachzusehen.
    Tom packte den Schürhaken fester und schlich Dale hinterher. Der rothaarige Hüne verschwand für einen Moment aus Toms Blickfeld, als er in die angrenzende Gasse bog. Tom war dicht hinter ihm, er blieb an der nächsten Ecke stehen und warf ein kurzen Blick in die Gasse.
    Dale stand mit dem Rücken zu ihm.
    »Bist du das noch, Floyd?«, rief Dale unbestimmt ins Dunkel.
    Jetzt! Jetzt sieht er dich nicht!
    Tom schob sich um die Ecke in Dales Gasse, er schlich näher heran, holte ganz langsam mit dem Schürhaken aus. Die Rinde, die überall herumlag, knirschte unter seinen Sohlen, aber das laute Zirpen der Grillen dämpfte das Geräusch.
    Dale ging vorsichtig weiter und hob den Lauf seiner Waffe.
    Schneller! Er dreht sich gleich um!
    Tom beschleunigte den Schritt. Als er nur noch eine Armlänge hinter Dale stand, schwang er den Schürhaken auf Dales Nacken.
    Doch Dale war schneller. Er drehte sich pfeilschnell um und riss das Gewehr hoch. Toms Hieb traf den Lauf der Waffe, und der Schürhaken wurde ihm fast aus der Hand geschlagen.
    »Du!« , zischte Dale und zog die Waffe wieder hoch. Bevor er abdrückte, ließ Tom den Schürhaken auf Dales Finger niedersausen. Dale brüllte auf und das Gewehr fiel zu Boden.
    Verdammt! Tu was! Tu was!
    Tom holte abermals aus, doch Dale stürzte sich auf ihn, rammte Tom den Kopf in den Bauch, und sie gingen zu Boden. Tom schlug mit dem Rücken auf, und der Schmerz loderte grell in seinen Schläfen. Dale lag mit seinem ganzen Gewicht auf Tom, und seine kräftigen Pranken schlossen sich um Toms Hals.
    »Du hättest ’ne richtige Waffe mitbringen sollen, du Schlappschwanz von einem Niggerkumpel!« Dale drückte erbarmungslos zu. Toms Kehlkopf wurde gequetscht und seine Augen quollen hervor. Dale grinste. »Diesmal blas ich dir das Licht aus.«
    Tom bekam keine Luft mehr, und er fühlte, wie die Schwärze langsam in ihm hochkroch. Es war wie vor dem Saloon, nur dass Tom da noch nicht gehinkt und seine Seite noch nicht geschmerzt hatte wie verrückt. Toms Finger tasteten zitternd an seiner Seite hinunter. Er krümmte sich, riss mit der anderen Hand an Dales Pranken um seinen Hals, schob die Finger in seine Hosentasche,

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