Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman
blieb stehen. »Also warum sollte ich dir das glauben Dale? Wo du und Jeb doch so unzertrennlich wart?«
Dale keuchte, der Schweiß lief ihm immer noch über die Stirn. »Jeb hat uns immer Arbeit besorgt. War schon im Krieg so. Ich hab immer nur gemacht, was Jeb gesagt hat. Er is’ auch los und hat mit Floyd geredet und hat uns die Arbeit hier verschafft. Wir kannten Floyd vom dritten Arkansas Artillerieregiment, er war Captain, und ich … Ich schwör’s, ich hab den Typen nie gesehen, der dich loswerden wollte!«
»Jeb ist also von jemandem angesprochen worden, der euch Geld dafür gegeben hat, dass ihr mich verprügelt?«
»Genau so war’s, Mann! Wir waren bei Harold. Jeb is’ raus zum Pissen. Als er zurückkommt, sagt er, so ’n Kerl hätt ihn angesprochen und ihm zwanzig Dollar gegeben, dafür, dass wir dich verdreschen. Zwanzig Dollar! Und ich hätt’s sogar umsonst gemacht.« Dale versuchte ein Grinsen, bis ihm aufging, dass ihm das wohl nicht helfen würde. Er zuckte mit den Schultern. »Weißt schon, wie ich’s mein, oder?«
Tom nickte. »Und du hast Jeb nie gefragt, wer dieser Typ war und wie er ausgesehen hat?«
Dale schüttelte den Kopf. »Hat mich nicht interessiert. Hauptsache, er zahlt.«
»Wann war das?«
»Am gleichen Tag, wie wir dich am Knast getroffen haben.«
»Und dann habt ihr mich an die Gleise gefesselt, und Jeb ist noch mal los, um euren Lohn zu kassieren?«
Dale nickte. »Ja … Nein!«
»Was denn jetzt, Dale?« Tom schüttelte ungehalten den Kopf.
Dale fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, und seine Augen wanderten suchend über die Decke der Mühle. »Jeb is’ los, um die zwanzig Dollar zu kassieren, und er is’ nicht zurückgekommen. Aber das war am Morgen, nachdem wir hier mit der Nachtwache fertig waren. Wir ham dich nicht auf irgendwelche Gleise gefesselt. Das sollten wir nicht, wir sollten dich nur zusammenschlagen und liegen lassen. Der Typ hat zu Jeb gesagt, wir sollen beim Knast auf dich warten, weil da würdest du irgendwann auftauchen. Jeb hat schon geflucht, weil wir zu spät zur Nachtwache kommen würden und Floyd wär sicher sauer, aber dann bist du ja doch aufgekreuzt und –«
»Moment mal!«, unterbrach Tom Dales plötzlichen Redefluss. »Ihr habt mich nicht auf die Gleise gefesselt?«
»Nein! Sag ich doch!«
Tom stutzte, und Dale beeilte sich, mit einem Blick auf die Säge hinzuzufügen: »Und das stimmt, Kumpel! Das waren wir wirklich nicht!«
Die halbmondförmigen Vertiefungen in den Reifenspuren tauchten vor Toms Augen auf. »Habt ihr einen Wagen, du und Jeb?«
»Einen Wagen?« Dale blinzelte Tom verwirrt an. Tom blickte hinunter auf die Sägespäne, in denen er stand. Er würde beim Gefängnis nach den Reifenspuren suchen müssen. Wenn Dale die Wahrheit sagte, und davon ging er in Anbetracht von Dales nasser Hose aus, dann hatte dieser Jemand gewartet, bis Dale und Jeb mit ihm fertig waren, und hatte ihn dann auf einen Karren geladen, um ihn zu den Gleisen zu bringen. Das bedeutete, dass sein Gegner wusste, dass Tom nach ihm suchte. Und dass er Tom loswerden wollte.
Dass er ihn töten wollte.
Du mutig und stark, aber Dämon ist Wolf, töten Hunde. Er stärker. Du brauchen Schutz, Tom Sawyer.
Unwillkürlich fasste Tom sich an die Wange, wo der alte Indianer ihm die Symbole aufgemalt hatte. War das wirklich erst gestern gewesen? Wann hatte er zum letzten Mal geschlafen? Tom fühlte sich unsagbar müde. Jegliche Energie schien aus ihm entwichen zu sein. Er blickte zum Fenster. Ein schmaler Streifen Licht erschien im Osten über den Baumwipfeln. Ein neuer Tag dämmerte herauf.
»K-kann ich jetzt gehen, Sir? Bitte!« Dale grinste ihn schief an.
Tom tätschelte ihm die Schulter. »Ich heiße Tom. Tom Sawyer. Und wenn du mich noch mal Niggerfreund nennst oder meinen Kumpel Cooper oder einen seiner Freunde noch mal belästigst, Dale, dann schiebe ich dich wieder in diese Säge, verstanden?«
Hill Street, am Morgen des
16. Juli 1865
»Oh, Mr Sawyer! Der ist aber süß! Ist das Ihrer?«
Sally Austin ließ ihre Schultasche fallen, kniete sich neben Hollis hin und kraulte ihm den Nacken, während der Hund immer wieder versuchte, ihr über die Finger zu lecken, und sich dann auf den Rücken warf und ihr den Bauch entgegenreckte.
Tom hatte Hollis im Haus seiner Tante abgeholt, bevor er hierhergekommen war. Der kleine Mischlingshund schien zunächst beleidigt zu sein, dass Tom ihn die ganze Nacht allein gelassen hatte. So wie er sich jetzt
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