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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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war sie … Vielleicht hat sie nicht mehr aufschreiben können, dass ich schon bezahlt habe.«
    Tom hielt sie am Arm fest, und es war ihm egal, dass die Leute es sehen konnten. »Eine Decke, Sally? Für neunzehn Dollar? Meine Tante hat die Decken deinem Vater gegeben, damit der sie mit einem kleinen Aufschlag in seinem Laden verkauft. Warum hast du dann nicht einfach eine aus dem Laden genommen? Und warum sollte meine Tante diese Rechnung mit einer Geheimschrift verschlüsseln? Es waren noch andere Namen auf der Rechnung. Die anderer Frauen. Was hat Polly euch verkauft? Morphium? Für einen Freund von dir vielleicht? Oder hat sie dich erpresst?«
    Sallys Augen zuckten hin und her, als würde sie überlegen, ob sie losschreien sollte, aber sie tat es nicht.
    »Hallo, Sally. A-alles in Ordnung mit dir?« Es war Henry Gustavson, der flachsblonde Sohn des Küfers. Er blickte besorgt auf Toms Hand um Sallys Arm.
    Sally nickte kurz und machte eine abwehrende Geste mit der Hand. »Alles in Ordnung, Henry. Mr Sawyer begleitet mich nur zur Schule.«
    »Oh.« Henry nickte und er sah fast ein wenig enttäuscht aus. »Na dann bis gleich«, sagte er und rannte an den letzten Häusern der Hill Street vorbei und den Hügel hinauf, der zur Schule und zu Mr Dobbins’ Haus führte.
    Tom ließ Sallys Arm los. Er stand so nah, dass er den schwachen Geruch nach Veilchenseife wahrnahm, der ihrem Haar entströmte. »Warum sagst du mir nicht einfach die Wahrheit, Sally? Huck hat mit dir schon wegen dem Geld gesprochen, stimmt’s? Damals, beim Gemeindefest, als du behauptet hast, er hätte dich vergewaltigen wollen.«
    Sie riss die Augen auf. Zorn loderte darin. »Und das stimmt auch! Man hat ihn mit heruntergelassener Hose erwischt, Mister! Da können Sie den Sheriff fragen! Da können Sie jeden fragen!«
    Tom nickte. »Ja, das glaube ich, dass man Huck mit heruntergelassener Hose erwischt hat. Die Frage ist nur, wie die da hingekommen ist, Sally.«
    Sally wollte etwas sagen, aber dann schien sie es sich anders zu überlegen. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, und die Stille stand einen Moment lang unheilvoll zwischen ihnen. Sie legte den Kopf schräg und kniff die Augen ein wenig zusammen. »Wie meinen Sie das, Mr Sawyer?«
    »Vielleicht hatte ja der Gentleman, mit dem man dich neulich im Laden deines Vaters erwischt hat, auch eine heruntergelassene Hose. Was meinst du, was hätten dein Vater und der Sheriff da gesagt? Hätten sie dir noch mal geglaubt?«
    Sally sog zischend Luft ein. »Die Schlitzaugen-Hure«, flüsterte sie.
    »Ja, Lucy heißt sie, glaub ich«, sagte Tom. »Wenn ich mich recht erinnere, kann sie dich nicht besonders leiden, weil du sie ein bisschen von oben herab behandelst. Vielleicht solltest du das lassen, Sally. Vielleicht steht dir das gar nicht zu.«
    Sally schwieg. Sie nahm eine Haarsträhne zwischen die Finger und zwirbelte sie. Heftig atmend blickte sie zu Boden. Dann hob sie den Kopf und blickte Tom an. Ihre Augen schwammen in Tränen.
    »Es tut mir leid. Ich … ich wollte das nicht. Das mit Huck, meine ich. Aber er hat nach dem Geld gefragt. Er hat gesagt, er kommt von Ihrer Tante, und ich … Ich hatte das Geld einfach nicht, und dann hab ich ihm angeboten … Ich meine, ich wollte … ich wollte meine Schulden abarbeiten. Bei ihm. Sie wissen schon.«
    Sie wedelte mit den Armen, suchte nach Worten, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. »Er wollte erst nicht, ich hab ihn überredet, hab ihm die Hose aufgemacht, und dann … dann hab ich … hab ich ihn in die Hand genommen, und dann … hab ich von irgendwoher Stimmen gehört, und alles ging so schnell, und ich hab geschrien, und er wollte mir den Mund zuhalten, und dann kamen schon die Männer und der Sheriff.«
    Sie bedeckte die Augen mit der Hand und schluchzte. »Bitte, Mr Sawyer, Sie dürfen mich nicht verraten. Mein Vater darf nie erfahren, was wirklich passiert ist! Bitte!«
    Tom legte ihr besänftigend die Hand auf die Schulter. »Schhh. Ist schon gut. Von mir erfährt er es nicht. Aber dem Sheriff oder dem Richter wirst du es vielleicht sagen müssen, wenn man Huck den Prozess macht.«
    Sally blickte erschrocken auf. »Das geht nicht. Ich kann das nicht sagen!«
    Tom blickte sie streng an. »Oh doch, das wirst du. Du wirst ihnen sagen, dass Huck dich nicht vergewaltigen wollte, und du wirst ihnen sagen, dass er für meine Tante das Geld eingetrieben hat. Und mir wirst du sagen, was meine Tante dir verkauft hat. Und

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