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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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auf dem Boden wälzte, schien sich seine Laune allerdings schon wieder gebessert zu haben.
    Tom zupfte sich einen Fetzen Haut von der Stirn. Sein Sonnenbrand begann sich zu schälen. »Ja, ich schätze schon. Hollis ist mir zugelaufen. Niedlich, der Kleine, was?«
    Sally blickte zu ihm auf und nickte. Eine sanfte Röte überzog ihr mit Sommersprossen gesprenkeltes Gesicht.
    Sie ist hübsch, sehr hübsch, ging es Tom wieder durch den Kopf. Aus irgendeinem Grund erinnerte Sally ihn an ein Erdbeertörtchen, und ihm ging auf, dass er Hunger hatte. Außer Dales Sandwich hatte er in den letzten vierundzwanzig Stunden nichts gegessen, und bei dem Geruch von Frühstücksspeck, der, vermischt mit dem Rauch aus den Küchenherden in der Luft hing, lief ihm das Wasser im Mund zusammen.
    Tom saß zwischen dem Gemeindestall und Fulbrights Brennerei auf den Stufen zu Nate Donaghys Bestattungsinstitut. Wobei das »Bestattungsinstitut« auf Nates Firmenschild ein großes Wort war für die Sargschreinerei und das winzige Büro, das dazugehörte. Dennoch sah es für Tom so aus, als hätten Nates Geschäfte durch den Krieg einen gewissen Aufschwung erfahren. Immerhin hatte es ein Firmenschild, und das war unter dem Vorbesitzer, Nates Vater, noch nicht so gewesen.
    Nates Treppe lag genau gegenüber von Lucius Austins Drugstore, und Tom hatte sich vom Sägewerk über den kurzen Umweg, um Hollis abzuholen, gleich zu dem Laden in der Hill Street begeben, um Sally auf dem Schulweg abzupassen.
    Auf großen Schiefertafeln vor dem Schaufenster hatte Mr Austin aufgelistet, was man bei ihm kaufen konnte: Rizinusöl, Teerpappe, Eingewecktes, Läusepulver, Maisstärke, Lavendelwasser, Fässer zum Einlegen, Zucker und drei Dutzend andere Dinge, auf die man nicht verzichten konnte.
    Der Morgen war wunderschön. Tautropfen glitzerten im Gras zwischen den Häusern in der Hill Street, und die Ladeninhaber schoben ihre Waren vor die Geschäfte und rollten die bunten Markisen aus. Eine neue Eisenwarenhandlung würde in Kürze eröffnen, und der Besitzer trug eine graue Schürze über dem Anzug und brachte gerade, auf einer Leiter stehend, sein Ladenschild an.
    Sally kicherte, als Hollis mit seinen kurzen Füßen hochsprang wie ein Gummiball und nach ihrer Hand schnappte. »Der ist ja richtig wild! Ein ganz Frecher!«
    »Ja, das ist er.« Tom nickte und lächelte müde. »Ich würde mich gern mit dir unterhalten, Sally. Es geht um meine Tante. Tante Polly.«
    Über Sallys Gesicht legte sich ein Schatten. Sie griff nach ihrer Schultasche und stand auf. »Tut mir leid, Sir. Ich muss in die Schule. Ich bin schon spät dran.«
    Sie wandte sich ab und lief los. Hastig. Hollis blieb einen Moment verdutzt stehen, dann rannte er ihr bellend nach.
    Tom stand auf, holte sie ein und ging neben ihr her. »Was ist los, Sally? Wir haben uns doch beim letzten Mal so nett unterhalten. Ich würde nur gern von dir wissen, warum du meiner Tante die neunzehn Dollar noch nicht bezahlt hast.«
    Sally blickte ihn gehetzt von der Seite an. Sie umklammerte den Gurt ihrer Schultasche, als würde sie sich daran festhalten. »Ich schulde Ihrer Tante kein Geld, Sir. Sie müssen sich irren.«
    Tom schüttelte den Kopf. »Das glaub ich nicht, ich hab’s schwarz auf weiß. Ich hab eine Rechnung gefunden, weißt du? ›Sally Austin: neunzehn Dollar‹ steht darauf.«
    »Das stimmt nicht. Sie hat da bestimmt was verwechselt.«
    »Ach ja? Du meinst, es geht um eine andere Sally Austin? Wie viele Sally Austins gibt es wohl in St. Petersburg?«
    Sally blieb stehen und sah ihn zornig an. »Ich weiß es nicht, Mr Sawyer. Aber Ihre Tante bekommt keine neunzehn Dollar von mir. Und Sie auch nicht! Stecken Sie in Schwierigkeiten und wollen einem Schulmädchen Geld abpressen, ist es das?«
    Sie war laut geworden, und einige Passanten, die auf der Hill Street ihren Geschäften nach gingen, merkten auf und bedachten Tom mit einem finsteren Blick.
    Tom lächelte. So ist das also, dachte er, du willst einen auf bedrängte Jungfrau machen. Er gab seiner Stimme einen besonders sanften Ton. »Hör zu, Sally. Ich will kein Geld von dir. Die neunzehn Dollar sind mir egal. Ich will nur wissen, was du dafür bekommen hast. Was hat meine Tante dir verkauft?«
    »Eine Decke.« Sally ging zügig weiter.
    Tom stutzte und folgte ihr wieder. »Eine Decke?«, echote er.
    »Ja. Einen Quilt. Eine von diesen Steppdecken, die sie genäht hat. Ich wollte eine haben. Für meine Aussteuer. Aber ich hab bezahlt. Vielleicht

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