Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman
über Sally Austin.«
Sid verstummte. Einen Moment lang war kein einziges Geräusch im Raum zu hören. Sid blinzelte. Er schluckte, dann sagte er tonlos zu Mrs Buford: »Es tut mir leid, Ma’am. Wallace wird Sie hinausbegleiten. Ich werde mich so bald wie möglich wieder bei Ihnen melden.«
Mrs Buford wollte empört etwas erwidern, doch da war Sid schon bei ihr, half ihr aus dem Stuhl und schob sie zu Wallace, der ebenso verwirrt zu sein schien wie Mrs Buford. Sid schloss die Tür hinter ihnen und blieb stumm mit dem Gesicht zur Tür stehen, während Mrs Bufords Gezeter noch einen Augenblick lang aus dem Schalterraum zu ihnen drang. Dann drehte er sich um und lehnte sich mit dem Rücken an die Tür. »Was willst du von mir?«
»Habe ich das nicht bereits gesagt?« Tom schlenderte um Sids Schreibtisch herum und nahm auf Sids Stuhl Platz. Er legte die Füße auf den Tisch. »Wir reden über die Brücke. Und über Sally. Und darüber, ob du Tante Polly wegen eines Deals mit dem Sheriff und Richter Thatcher umgebracht hast.«
»Bist du jetzt völlig wahnsinnig geworden?« Sid riss die Augen auf. Er stürzte zum Tisch, stemmte die Fäuste auf die Schreibtischplatte und schrie Tom an: »Glaubst du ernsthaft, ich hätte unsere Tante umgebracht?« Seine Stimme überschlug sich. »I-ich hab Huck erwischt, schon vergessen? Ich hab gesehen, wie er über sie gebeugt stand, verdammt noch mal!«
»Das sagst du ! Wollen mal sehen, was Huck mir erzählt, wenn ich ihn gleich besuche!«
Sid schüttelte den Kopf und hob in einer hilflosen Geste die Hände. »Und warum zum Teufel sollte ich das tun? Warum sollte ich Polly umbringen, kannst du mir das vielleicht sagen?«
Tom zog den Kaufvertrag für Pollys Gartengrundstück aus seiner Jackentasche und knallte ihn auf den Tisch. »Ja. Lass uns mal sehen. Du hast mit Thatcher und dem Sheriff ein Grundstück am Illinois-Ufer gekauft, auf dem wohl die Pfeiler für die Eisenbahnbrücke über den Mississippi entstehen sollen. Auf der anderen Seite des Flusses liegt Pollys Gärtchen, für das es einen Kaufvertrag mit der gleichen Eisenbahngesellschaft gibt, von der du ganz zufällig Aktien hast. Außerdem stecken du, Harper und Thatcher, denen die anderen Gartengrundstücke gehören, auf denen Pfeiler gebaut werden sollen, mit dem Vermessungsingenieur der Eisenbahn unter einer Decke, wenn ich das richtig verstanden habe. Wenn die Brücke kommt, verdienst du also dreifach. Wenn . Das Einzige, was im Weg stand, war wohl Polly, hab ich recht?«
Während Sid ihn noch fassungslos anstarrte, stand Tom auf, stemmte die Fäuste ebenfalls auf die Tischplatte und beugte sich so nah zu Sid, dass sie mit der Nase fast zusammenstießen. Sein fröhlicher Tonfall war wie weggeblasen. Er zischte seinen Bruder an: »Ich kann nicht glauben, dass du sie wegen ein paar lumpigen Dollar umgebracht hast, du Schwein. Und jetzt sag mir, dass das nicht stimmt!«
Sid war blass geworden. Er ließ sich auf den Stuhl fallen, auf dem bis vor Kurzem noch Mrs Buford gesessen hatte. Erschöpft rieb er sich die Stirn. Als er das Klicken hörte, blickte er auf und starrte in den Lauf von Toms Colt-Pocket-Navy-Revolver.
Tom schüttelte den Kopf. »Ich hab keine Lust mehr auf Lügen, verstehst du, Sid? Ich bin seit einer Woche in St. Petersburg, und alle verarschen mich, und ich hab’s so satt. Ich will wissen, was mit Polly passiert ist, und ich hör dir genau ein Mal zu. Wenn mir deine Geschichte nicht gefällt, schieß ich dir in deinen Arm, kapiert?« Er deutete mit der Waffe auf Sids rechten Arm.
Sid nickte. Er zitterte so heftig, dass es aussah, als würde er mit dem ganzen Körper nicken. »Ich habe …« Dann brach er ab, hob beschwichtigend die Hände und stand auf. Er ging zu einem der Rollladenschränke und zog zwei Aktenordner hervor. Er legte sie auf den Tisch, öffnete den einen Ordner, blätterte darin und zog dann zwei Dokumente hervor. »Das hier ist vom Mai.«
Er reichte Tom eines der Schriftstücke, und der erkannte den geschwungenen Schriftzug der St. Louis & St. Petersburg Railway Company. Es war ein Kaufvertrag, ausgestellt auf Pollys Namen. Es ging um ihr Gartengrundstück. Der Kaufvertrag war identisch mit dem, den Tom in Sids Kommode gefunden und vor Sid auf den Tisch gelegt hatte. Identisch bis auf die Summen, die geboten wurden. Im Kaufvertrag, den Sid auf den Tisch gelegt hatte, bot die Eisenbahngesellschaft 1 . 200 Dollar.
Tom blickte zu Sid und schüttelte den Kopf. »Was bedeutet
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