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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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und kam mit erhobenen Händen heraus. John Booth nicht. Als die Scheune brannte, roch es nach dem Tabak, den der Farmer Richard Garrett dort zum Trocknen aufbewahrte.
    Als Booth trotz der Flammen immer noch nicht herauskam, hatte Tom sich an Colonel Everton Conger gewandt, der für Lafayette Bakers Spionagedienst im Kriegsministerium arbeitete. Conger befehligte die Jagd auf Booth und duldete Tom nur, weil der der Leibwächter des Präsidenten gewesen war.
    Tom hatte Conger gebeten, Booth aus der Scheune holen zu dürfen, bevor der erstickte oder verbrannte. Er dachte das Gleiche, was Joe vorher über Huck gedacht hatte: Das wäre zu einfach für das Schwein.
    Conger hatte auf seine goldene Taschenuhr geschaut und Tom genau vier Minuten gegeben, dann würde er auf das Gebäude schießen lassen. Als er von der Uhr wieder aufsah, war Tom bereits in der Scheune.
    Dieser Mann darf nicht entkommen.
    Oh nein, Sir. Das wird er nicht.
    Tom meinte fast die Hitze der brennenden Scheune zu spüren und wischte sich den Schweiß von der Stirn, als er an der mit Flechten bewachsenen Fleischbank vorbeiging, auf der die Schweine einst zerteilt worden waren. Oder war es Angst? Er spähte um die Ecke und hielt die Lampe etwas höher. Ein großer Raum, das andere Ende des Hufeisens. Ein mächtiges Tor zur Verladerampe nahm die Rückwand ein. Umgestürzte Salzfässer, die Dauben herausgebrochen, das Gestänge zum Transport der Schweine hing lose von der Decke herab. Ansonsten war der Raum leer. Leer bis auf einen Haufen beim Tor, der aussah wie Lumpen und Decken.
    Oder war es ein Mensch, der dort lag?
    Tom entsicherte den Le Mat und trat vorsichtig näher. Bis auf das Knirschen seiner Stiefelabsätze auf dem Steinboden war kein Laut zu hören. Da war etwas, da lag etwas. Atmete es? Tom stand noch drei Schritte von dem Haufen am Boden entfernt. Er entdeckte Kerzenstummel und Essensreste und Lumpen. Ein Lager? Ein Schlafplatz? Tom bückte sich, stellte so leise wie möglich die Lampe ab, streckte langsam eine Hand aus und richtete den Le Mat auf den Haufen. Das Blut pochte in seinen Schläfen. Dann zog er mit einem Ruck die Decke zurück.
    Nichts.
    Da war niemand, niemand atmete. Da waren nur noch mehr Lumpen, dreckige Kleider, ein alter zerfledderter Rucksack. Jemand hatte alles zusammengeknüllt, um dem Haufen die Umrisse eines menschlichen Körpers zu geben. Der Raum war leer, Huck war vermutlich über alle Berge.
    Tom wollte sich gerade umwenden, um Joe Harper Bescheid zu geben, als er etwas entdeckte. Er ging in die Hocke und zog einen groben Leinensack aus dem Haufen. Das Gewebe war fleckig, Tom hielt den Sack vor die Lampe. Dunkle braune Kreise waren auf dem Stoff zu sehen. Ein Windhauch streifte seinen Nacken und Toms Haare stellten sich auf. Es war Blut. Tante Pollys Blut? War das der Sack, den Huck bei sich gehabt hatte?
    Tom seufzte und wollte aufstehen, als er plötzlich die Klinge an seinem Hals spürte. Jemand packte ihn an den Haaren und riss seinen Kopf zurück. Ein heiseres Flüstern, dicht an seinem Ohr. »Nicht bewegen, nicht schreien, Hurensohn. Wenn du schreist, nehm ich deinen Kopf mit. Den Rest lass ich hier.«
    ~~~
    Es war Huck.
    »Leg die Waffe auf den Boden. Ganz vorsichtig.«
    Tom tat, wie ihm geheißen. Huck roch nach Whiskey, und eine säuerliche Mischung aus Rauch, Schweiß und Zwiebeln schien seinen Kleidern zu entströmen.
    »Huck, lass den Scheiß! Ich bin’s, Tom!
    »Tom? Welcher Tom?« Hucks Zunge war schwer, er war offenbar betrunken.
    Tom spürte, wie die Klinge seine Haut ritzte und ein Tropfen Blut ihm in den Kragen lief. Huck hatte ihn mit eisernem Griff an den Haaren gepackt, und es kam Tom so vor, als müsste seine Kopfhaut jeden Moment reißen. Warum hatte er ihn nicht gehört? »Tom Sawyer, verdammt, und jetzt lass mich los!«
    Huck lachte kehlig, ohne den Griff zu lockern. »Tom Sawyer? Tom Sawyer ist weg, schon lange weg. Im Osten. Wahrscheinlich ist er tot.«
    »Tot? Dann schau mich doch mal an, du Sturschädel! Wenn du mir nicht die Kehle durchschneidest, bin ich sehr lebendig!«, zischte Tom. Den Kopf in den Nacken gebogen, sah er Hucks Gesicht über sich. Hucks Augen waren eisblau, trüb und stumpf. Ein kurzer struppiger Bart umrahmte das kantige Kinn, die blonden Haare waren schulterlang und verfilzt. Er hatte schorfige Wunden im Gesicht, ein Eckzahn fehlte.
    »Tom Sawyer würde niemals mit dem Sheriff gemeinsame Sache machen. Tom würde niemals seinen Freund Huck jagen. Du bist ein

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