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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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Lügner. Ein Lügner, dem ich jetzt den Kopf abschneide.« Huck sagte es völlig ungerührt, als sei das eine ebenso unumstößliche Tatsache, wie dass auf den Herbst der Winter folgte. Er drückte das Messer noch fester gegen Toms Hals.
    Der Schweiß stand Tom auf der Stirn. Sein Herz schlug knapp unter seinem Hals. Huck glaubte ihm nicht. »Warte! Huck! Hucky, weißt du noch! Wir sind als Kinder mit Joe nach Jackson Island durchgebrannt und haben Pirat gespielt. Wir haben Schildkröteneier gesammelt, und dann haben sie uns gesucht, weil sie dachten, wir wären ertrunken. Sie haben von den Booten aus Kanonen abgeschossen, damit unsere Leichen vom Grund des Flusses auftauchen, und dann sind wir heimgegangen und waren bei unserer eigenen Beerdigung. Weißt du nicht mehr?«
    Hucks Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Das kann jeder wissen, jeder kennt die Geschichte!«
    Tom hörte, wie seine eigene Stimme immer höher wurde und einen verzweifelten Tonfall annahm, aber er konnte nichts dagegen tun. »Mann, Huck! Weißt du noch, als Gracy Miller mal ins Küchenfeuer gefallen ist? Wie wir Muff Potter geholfen haben, als man ihn wegen dem Mord an Doktor Robinson eingesperrt hat? Weißt du noch, wie wir ihm durch sein Zellenfenster etwas zu essen gegeben haben? Kannst du dich an die Schnur mit den Klappern der Klapperschlange um meinen Fuß erinnern? Woher verdammt soll ich das wissen, wenn ich nicht Tom Sawyer bin, hm?«
    Huck blinzelte, der Druck des Messers an Toms Kehle ließ ganz leicht nach.
    »Weißt du noch, wie wir Injun Joe verfolgt haben? Und dann der Schwur! Du musst dich doch an den Schwur erinnern!«
    Huck schüttelte den Kopf. »An welchen Schwur?«
    Toms Stimme überschlug sich. »Na an den Schwur, den wir uns nach dem Mord an Dr. Robinson geschworen haben: Huck Finn und Tom Sawyer schwören, sie werden dichthalten wegen dem hier, und sie wollen auf der Stelle tot niederfallen, wenn sie je drüber reden, und verfaulen. Wir haben’s auf ’ne Tannenschindel geschrieben und dann mit ’nem Tropfen Blut besiegelt! Niemand außer mir kann das wissen, Hucky! Du musst dich doch erinnern!«
    Huck blinzelte noch einmal. Dann schob er Toms Kopf nach oben, ohne dessen Haare loszulassen, und drehte ihn um, sodass er ihm zum ersten Mal richtig ins Gesicht schauen konnte. In Hucks trübe Augen kam ein seltsamer Glanz, seine Lippen bewegten sich, ohne dass er etwas sagte. Dann ließ er Tom los. »Tom. Beim Hokus!«
    Tom atmete erleichtert aus. »Na, erkennst du mich jetzt endlich, du Torfkopf?«
    Huck nickte fast unmerklich. Ein kleines trauriges Lächeln stahl sich in sein Gesicht, aber dann verzerrten sich seine Züge, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Tom, du musst mir helfen! Diese Arschlöcher sind hinter mir her! Joe Harper ist irgendwo da draußen, du musst sie gesehen haben! Hast du sie nicht gesehen?«
    Tom nickte langsam. Huck schwankte ein wenig, sein Blick irrte herum, als würde es ihm schwerfallen, ihn auf Tom gerichtet zu halten. Aus dem drahtigen Jugendlichen von einst war ein Bär von einem Mann geworden. Er trug eine Wildlederjacke mit Fransen wie ein Trapper oder ein Scout, aber sie war speckig und verdreckt, und seine verwaschene blaue Hose war gesprenkelt mit braunen Flecken. War das Blut? Huck wirkte total verwahrlost. Er brauchte Hilfe, das war nicht zu übersehen.
    Tom nickte noch einmal. »Ich hab sie gesehen Huck. Ich bin mit ihnen gekommen. Sie werden dich über den Haufen schießen oder gleich aufknüpfen, wenn du nicht von allein mit mir kommst.«
    Huck taumelte ein paar Schritte rückwärts. »Du bist mit ihnen gekommen?« Er wies mit dem Zeigefinger auf Tom. »Du meinst … du bist mit ihnen gekommen? Du hast sie hergeführt?« Er hob sein Messer und schüttelte den Kopf, seine Augen ein Meer aus Zorn.
    Tom hob beschwichtigend die Hände. »Huck, verdammt! Du musst jetzt schlau sein. Diese Typen wollen , dass du irgendeinen Scheiß baust. Die wollen , dass du wegläufst, damit sie einen Grund haben, auf dich anzulegen und abzudrücken. Aber ich kann dir hier lebend raushelfen. Du bekommst einen fairen Prozess, das versprech ich dir. Ich kenn Richter Thatcher, und ich rede mit ihm und mit Joe. Du musst mir nur helfen. Du musst mir sagen, was passiert ist, als du bei Tante Polly warst.«
    Huck schnaubte, er atmete keuchend, dann fuhr er sich mit den Fingern durch die verfilzten Haare und kniff die Augen zusammen. »Polly! Scheiße, Tom!« Hucks Wangen wurden fleckig rot, seine

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