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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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Brechreiz.
    »Geht’s?«, fragte Cooper mit einem scheelen Blick, und Tom, unfähig zu antworten, nickte nur.
    Cooper träufelte ein paar Tropfen aus einer kleinen Flasche auf ein Taschentuch und hielt es Huck unter die Nase.
    »Chloroform. Es betäubt ihn«, antwortete er auf Toms fragenden Blick. Die Dämpfe stiegen Tom in die Nase, und er schüttelte sich. Hucks Zittern nahm ab und hörte schließlich ganz auf. Er atmete beinahe friedlich. Cooper säuberte Hucks Wunde, tastete dann zunächst vorsichtig mit einem Finger in das Einschussloch hinein und nickte dann.
    »Ihr Aushilfsdoktor hatte recht, Mr Sawyer. Die Kugel hat zum Glück kaum Schaden in der Bauchhöhle angerichtet. Aber jetzt hat das Mistding sich versteckt.«
    Cooper griff zum Skalpell und vergrößerte die Wunde mit zwei kräftigen kreuzförmigen Schnitten. Tom sog erschrocken Luft ein, aber Cooper bemerkte nur beiläufig: »Wie soll ich die Kugel sonst suchen, hm?«
    Er klappte die Hautlappen auf und wies Tom an, sie festzuhalten und nach außen zu ziehen, damit er besser in der Bauchhöhle nach der Kugel suchen konnte. Toms Magen begehrte auf. Vorsichtig zog Cooper Darmschlinge um Darmschlinge aus der Bauchhöhle und legte sie halb auf Toms Hände, halb auf Hucks blutüberströmte Brust. Tom begann zu würgen, und Cooper blickte ihn entsetzt an. »Wehe, sie kotzen mir jetzt in die Bauchhöhle, Mr Sawyer!«
    Tom nickte folgsam, wandte sich ab und übergab sich auf den nackten Lehmboden in der Zelle.
    Cooper stöhnte entnervt auf. »Holen Sie mir Ihren Aushilfsdoktor, schnell!«, zischte er, und Tom sprang mit schamrotem Gesicht auf und rannte, ohne einen Gedanken an seine furchterregende Aufmachung zu verschwenden, zum Schulhaus.
    Die Kinder schrien auf, als der heftig atmende Fremde mit den blutverschmierten Händen die Schule betrat und sich gehetzt umblickte.
    Mr Dobbins stand hinter seinem Katheder und malte die Form des Staates Missouri mit Kreide an die Tafel. Erstaunt wandte er sich um, als er die entsetzten Laute der Kinder hörte.
    Tom blickte in weit aufgerissene Augen und offen stehende Münder, dann wurde er sich seines seltsamen Aufzugs bewusst und streifte die blutigen Hände an der weißen Schürze ab, die ihm Cooper geliehen hatte. Das machte die Sache nicht eben besser.
    Er räusperte sich. »Äh, Mr Dobbins, Sir … Ich müsste Sie kurz sprechen. Es ist dringend.«
    Dobbins blieb einen Moment wie festgefroren stehen, dann löste er sich mit beschwichtigenden Handbewegungen von der Tafel. »Ruhig, Kinder, beruhigt euch. Das ist Mr Tom Sawyer. Er hat mal in St. Petersburg gewohnt und bis vor Kurzem noch für den Präsidenten der Vereinigten Staaten gearbeitet. Beruhigt euch jetzt, schlagt eure Fibeln auf Seite 27 auf und schreibt den Absatz über Thomas Jefferson ab.«
    Die Kinder lösten ihre Blicke nur ganz allmählich von Tom und senkten sie dann missmutig in ihre Schulfibel. Das heisere Kratzen der Schreibfedern erfüllte die Stille des weiß getünchten Schulraums. Dobbins schritt durch das halbe Dutzend Bankreihen und an Schülern jeglichen Alters vorbei, nahm Tom an der Schulter und zog ihn sanft vor das Schulhaus. Die ausladenden Äste einer alten Eiche im eingezäunten Hof spendeten Schatten, und von irgendwo hörte man Gewehrschüsse. Dobbins’ Augen blitzten schalkhaft hinter seiner Brille hervor. »Tom. Du hast doch nicht etwa Sehnsucht nach deiner alten Schule bekommen? Und wie siehst du überhaupt aus? Hilfst du bei einer Schlachtung?«
    Tom blickte zu Boden und kratzte sich am Nacken. »Nein, Sir. Ich helfe bei einer Operation. Das heißt … Ich wollte helfen. Tatsache ist, ich hab mich nicht sonderlich gut angestellt.«
    Er zitterte noch immer, als er Dobbins sein Debakel mit wenigen Worten beschrieb. »Ich schätze, Sie wären dem Doktor eine größere Hilfe als ich.«
    Dobbins sah ihn nachsichtig an. Er lächelte, nickte und deutet auf die blutverschmierte Schürze. »Gib mir die, Tom. Ich helfe gern.«
    Die Erleichterung kroch wie ein warmer Schauer über Toms Nacken. Er band sich die Schürze ab und gab sie seinem alten Lehrer. »Hier, Sir. Und haben Sie vielen herzlichen Dank. Wenn ich Ihnen irgendwie irgendwann einmal helfen kann, lassen Sie es mich bitte wissen.«
    Dobbins band sich die Schürze um und lachte. »Nicht der Rede wert, Tom. Und wer weiß? Vielleicht kann ich von deinem Doktor noch etwas lernen.«
    Tom erwiderte das Lächeln, dann räusperte er sich. »Er ist … nur damit Sie das

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