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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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Dale.«
    Cooper blinzelte kurz, als Tom seinen Namen nannte, dann ergriff er Toms Hand. »Ich habe zu danken, Mr Sawyer. Ohne Ihre Hilfe hätte Dale mich wahrscheinlich so behandelt, wie er Sie behandelt hat.«
    »Ja, ich schätze, wir haben uns beide keine Freunde gemacht.«
    »Ich bin es gewöhnt, dass Leute wie Dale mich nicht als Freund ansehen. Gewöhnlich sehen sie mich nicht einmal als Mensch an, geschweige denn als Mediziner.«
    »Wo haben Sie Ihren Beruf erlernt, Mr Cooper?«
    »An der Wilberforce University in Ohio. Da sehen fast alle so aus wie ich. Ärzte, Juristen, Lehrer, Wissenschaftler. Alle schwarz. Da fällt man gar nicht auf.«
    »Hier schon. Warum sind Sie ausgerechnet nach Missouri gezogen, Doktor?«
    »Meine Schwester Hattie hat mich hergelockt. Sie hat mir erzählt, dass St. Petersburg keinen Arzt, aber dafür eine glänzende Zukunft vor sich hat, wenn die Eisenbahnbrücke kommt. Ich gebe zu, ich habe mir den Empfang etwas freundlicher vorgestellt. Das Geschäft läuft eher schleppend an.«
    Cooper lächelte, diesmal war es ein trauriges Lächeln. Die Männer am Tresen sangen inzwischen Die Frauen von Buffalo .
    Tom fischte einen Silberdollar aus den Tiefen seiner Jacke und schob ihn über den Tisch. »Wenn Sie einem Mann eine Kugel aus dem Kreuz holen können, haben Sie einen Auftrag.«
    Cooper betrachtete den Silberdollar mit großen Augen.
    Tom legte seine Hand über die Münze. »Haben Sie so etwas schon einmal gemacht, Doktor? Die Kugel ist verdammt nah am Rückgrat, sagt jemand, der etwas davon versteht.«
    Cooper lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und schnaubte. »Ah ja? Aber vom Operieren versteht er wohl nichts, dieser Jemand, wie?«
    Tom hielt Coopers beleidigtem Blick stand und schwieg.
    Der schwarze Doktor nickte. »Ich habe mehr praktische Erfahrungen sammeln können, als mir lieb ist, Mr Sawyer. Auf dem Schlachtfeld von Cold Harbour, beim Richmond-Feldzug und beim Appomattox-Feldzug mit der Potomac-Armee. Zweites Korps unter Generalmajor Hancock. Kugeln nah am Rückgrat. Kugeln im Rückgrat, Kugeln im Hals, zwischen den Rippen, in der Lunge, im Bauch. Durchschuss, Streifschuss, Kopfschuss. Suchen Sie sich was aus, ich hab es alles schon gesehen. Wenn die Männer auf einer Bahre vor mir lagen und fast verblutet sind, dann war es den meisten plötzlich egal, ob ich schwarz bin oder so weiß wie Mehl auf einem Leintuch im Schnee. Sie haben mich angebettelt, dass sie als Nächster drankommen dürfen.«
    »Der wird nicht betteln. Er ist nicht bei Besinnung, und er stirbt wahrscheinlich, wenn Sie ihm nicht bald helfen.«
    Cooper nickte und griff nach dem Silberdollar. »Dann werde ich meine Tasche packen und gleich nach ihm sehen. Wo finde ich den Mann?«
    »Im Gefängnis von St. Petersburg.«
    Der Doktor hielt inne und legte die Stirn in Falten. Etwas flackerte in seinem Blick. War es Angst? Misstrauen?
    »Der Mann, der diese Miss Polly erschossen hat?«
    »Das ist nicht bewiesen. Sein Name ist Huck Finn. Er ist ein Freund. Und diese Miss Polly ist … war meine Tante.«
    Cooper blinzelte, dann schüttelte er den Kopf und setzte an, etwas zu sagen.
    Doch Tom war schneller. »Das muss man nicht verstehen. Ich will einfach nicht, dass Huck stirbt. Selbst wenn er es getan haben sollte.«
    Cooper hob abwehrend die Hand. »Darum geht es mir nicht. Sie sind der Neffe von Miss Polly?«
    »Ja.«
    »Haben Sie noch mit ihr sprechen können, bevor sie gestorben ist?«
    »Nein. Sonst wüsste ich jetzt vermutlich, wer ihr Mörder ist. Warum?«
    »Weil meine Schwester Hattie an dem Tag, als Ihre Tante ermordet wurde, bei ihr war, Mr Sawyer. Sie ist von Mr Dobbins gekommen, wo sie arbeitet. Dann ist sie hierher zu Joseph gegangen, hat einen Whiskey bestellt und ihn in einem Zug getrunken. Das hat sie noch nie getan, sagt Joseph. Sie hat dabei gezittert. Und dann ist sie zu Ihrer Tante gegangen.«
    Tom schüttelte den Kopf. »Und?«
    »Danach hat sie keiner mehr gesehen, Mr Sawyer. Sie war nicht da, als ich in die Stadt kam. Sie ist nicht bei Mr Dobbins. Sie ist nicht hier. Meine Schwester ist verschwunden.«
    ~~~
    »Tja, es ist, wie es ist. Kein Palast. So wohnen wir eben.«
    Cooper verzog beschämt die Lippen und wies mit den Händen auf die groben Holzbretter, die die Wand bildeten. Es war in der Tat kein Palast. Eher die mieseste Rumpelkammer, die Tom je gesehen hatte.
    Man konnte kaum aufrecht gehen. Der Verschlag, in dem Hattie geschlafen hatte, war lieblos an die Außenwand der

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