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Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
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bei Gott ist kein Ding unmöglich.
    Tom schüttelte den Kopf und wandte sich zu Cooper.
    »War sie besonders religiös? Hattie, meine ich?«
    Cooper zuckte mit den Schultern. »Was heißt schon ›besonders religiös‹? Und ehrlich gesagt, Mr Sawyer, Sir: Ich kannte meine Schwester kaum. Ich wurde verkauft, als ich zwölf war. Mr Ashford, der Master in Savannah, dem meine Familie gehörte, hat mich nach Norden verkauft, wo ich einen neuen Herrn bekam, der mir die Freiheit geschenkt hat, als er gestorben ist.
    Hattie wurde von der Familie getrennt, als sie zehn war. Verkauft nach St. Petersburg. Zum Glück hatte mein Vater uns lesen und schreiben beigebracht. So konnten Hattie und ich uns von Zeit zu Zeit Briefe schreiben. Meine jüngeren Geschwister hatten nicht so viel Glück. Mein Vater ist gestorben, bevor er ihnen beibringen konnte, was er uns beigebracht hat. Deswegen weiß ich nicht, wo sie sind und ob sie noch leben. Hattie ist alles, was ich noch an Familie habe, Mr Sawyer. Ich wünschte, ich könnte sie kennenlernen.«
    Das Weiße in Coopers Augen schimmerte feucht im Zwielicht von Hatties Kammer. Cooper hatte seine Tasche mit beiden Händen gepackt. Seine Knöchel traten weiß hervor, als wollte er auf diese Weise ein Zittern unterdrücken.
    Tom presste die Lippen aufeinander und nickte.
    ~~~
    Tom war Cooper vorausgeeilt, um bei Joe Harper den Schlüssel zum Gefängnis abzuholen und Bescheid zu geben, dass Hattie vermisst wurde.
    Joe und Jim Hollis waren jedoch nicht da, und Billy Fisher, der zweite Hilfssheriff, saß übellaunig an seinem Schreibtisch auf einem Hocker, der unter seinem Gewicht ächzte, und aß Tapiokabrei. Der klobige Schlüsselbund lag mitten auf dem Tisch. Billy Fischer erklärte Tom, dass Joe noch Zäune auf dem Grundstück seiner Familie am Stadtrand ausbessern musste und dann mit Jim Hollis nach dem verschwundenen Floß suchen würde und deshalb keine Zeit habe für »’ne verirrte Niggerseele«. Als er sich dann auch noch stur stellte, als Tom den Schlüssel zum Gefängnis haben wollte, warf Tom hastig seinen Hut auf den Schreibtisch über den Schlüsselbund, zog eine Dollarnote aus einem Bündel und legte sie vor Billy hin.
    »Soll ja nicht umsonst sein, Billy. Sag dem Sheriff einfach, ich brauch den Schlüssel, wenn er wieder zurückkommt.«
    Dann nahm Tom seinen Hut vom Schreibtisch des Sheriffs, zog dabei unauffällig den Schlüsselbund mit und ging. Der klobige Schlüsselbund klimperte in seiner Tasche, als er zum Gefängnis rannte.
    Dort wartete Cooper schon auf ihn. Hollis, den Hund, band Tom an einem Strauch vor dem Backsteinbau fest, damit der ihm nicht überallhin folgte. Dann schloss er auf, und die Männer gingen hinein.
    Cooper warf einen Blick auf Huck. »Großer Gott.«
    Huck war dem Tode näher als dem Leben. Es stank entsetzlich. Huck stank entsetzlich. Vermutlich hatte er sich eingekotet. Bleich und zitternd lag er auf der Seite, ein dünner Faden Speichel rann ihm aus dem Mund.
    Cooper machte sich sogleich ans Werk und gab Tom mit strenger Stimme Anweisungen. »Machen Sie ein Feuer, Mr Sawyer, und besorgen Sie uns hiermit Wasser. Es muss kochen.« Er gab Tom einen blitzblank geschrubbten Topf, dann packte er seine Tasche aus, während Tom sich um das Feuer kümmerte. Als das Wasser im Topf kurz darauf dampfend sprudelte, warf Cooper seine Zangen, Klammern und Skalpelle hinein und reichte Tom eine weiße Schürze. »Machen Sie es wie ich. Knoten hinten. Und wehe, Sie bringen da Dreck dran.«
    »Knoten hinten?«, fragte Tom verwirrt, und als Cooper ihn tadelnd ansah, als wäre er von ärgerlich wenig Nutzen, erkannte Tom, dass er dem Doktor wohl assistieren sollte. Und sein Herz begann schneller zu schlagen.
    Bevor Tom protestieren konnte, hatte Cooper sein Werkzeug aus dem kochend heißen Wasser geholt, den Topf vom Feuer genommen und Tom eine Seife gereicht. Er zwang Tom, sich mit dem heißen Wasser die Hände zu verbrühen und sich dabei die Finger zu schrubben.
    Als sie wieder hineingingen, versuchte Tom, nur noch durch den Mund zu atmen. Der Geruch war einfach unerträglich. Doch Cooper schien ihn nicht wahrzunehmen. Er legte die Wunde unter dem Verband frei, den Dobbins am Morgen angelegt hatte. Eiter und Blut quollen aus dem kreisrunden Einschussloch, und wie es aussah, hatte Huck sich tatsächlich eingenässt und eingekotet. Da spürte Tom bereits, wie der Inhalt seines Magens die Kehle heraufschoss.
    Er schluckte und unterdrückte den

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