Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman

Titel: Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon X. Rost
Vom Netzwerk:
wissen … schwarz. Ein Schwarzer. Der Doktor, meine ich.«
    Dobbins’ Lächeln wich für einen Moment einem leeren Gesichtsausdruck, dann kehrte es genauso strahlend wie zuvor zurück. »Oh. Tatsächlich? Interessant. Was es heute nicht alles so gibt!«
    Dobbins wandte sich dem Tor im Lattenzaun zu, das den Schulhof umgab. Bevor er es öffnete, drehte er sich noch mal um. »Ach, Tom?«
    »Ja, Mr Dobbins?«
    »Du kannst mir tatsächlich bei etwas helfen.«
    »Sir?«
    Tom dachte daran, dass er dem Lehrer nicht erzählt hatte, was Cooper ihm über Hatties Verschwinden berichtet hatte. Doch er kam nicht dazu, ihn darauf anzusprechen. Dobbins deutete auf das Schulgebäude. »Da drinnen sitzen zwanzig junge, wissbegierige Menschen und haben keine Ahnung, wohin ihr Lehrer verschwunden ist. Sei so gut und übernimm meine Stunde.«
    »Ihre Stunde? Ich?« Toms Stimme klang hohl, fast schrill.
    Tom blickte zum Schulhaus. Seine Erleichterung von eben war wie weggeblasen, und das flaue Gefühl im Magen kehrte mit aller Macht zurück.
    ~~~
    Zwanzig Augenpaare waren auf Tom gerichtet, die Kinder zwischen sechs und sechzehn starrten Tom stumm und erwartungsvoll an.
    »Ich … Er … Er musste weg, und ich … bin Tom Sawyer. Ich komm hier aus St. Petersburg. So wie ihr, wisst ihr?«
    Tom spürte, wie er rot anlief. Es war seine Sache nicht, vor vielen Leuten zu sprechen, und sei es ein Haufen Kinder. Er blickte auf seine Hände hinab, bemerkte, dass sie noch immer blutverkrustet waren, und verschränkte sie schnell hinter dem Rücken. Tom hatte keinen blassen Schimmer, womit er anfangen sollte. Er blickte zur Decke, als ob dort oben zwischen den weiß getünchten Holzbalken des Dachgestühls eine Antwort auf die Frage zu finden wäre, wie man eine Unterrichtsstunde abhielt. Doch da war einfach nichts.
    In der ersten Reihe saß ein hübsches rothaariges Mädchen, fast eine jungen Frau, mit Sommersprossen, in einem rot karierten Kleid und einer weißen Bluse. Ihre Wangen glühten, und sie hob energisch den Finger. Tom nickte ihr zu, erleichtert, dass jemand anderes den Anfang machte.
    »Ja? Du da?«
    »Stimmt es, Mr Sawyer, dass Sie dabei waren, als Präsident Lincoln erschossen wurde?«
    Tom sank ein Stück in sich zusammen. Er nickte schwach. »Ja. Das stimmt … Das heißt … Ich war in der Nähe. Nicht in der Loge. In die Loge kam ich erst später. Ich war … als eine Art … Polizist in seiner Nähe.«
    Ein etwa acht Jahre alter Junge aus der zweiten Reihe in einer fleckigen Latzhose aus billigem Kattun hob den Arm und schnippte mit den Fingern. Tom nickte ihm zu. »Ja? Du.«
    »Will Tanner, Sir. Also … wenn Sie ein Polizist sind, warum haben Sie dann den Mann nicht erschossen, bevor er Präsident Lincoln erschossen hat?«
    »Ja … uhhh … Das ist, weißt du … nicht so einfach zu erklären.«
    Tom stöhnte. Was wurde das hier? Das lief ganz und gar nicht so, wie er sich eine Schulstunde vorstellte.
    Einer der älteren Jungs in der letzten Reihe, er war vielleicht vierzehn, flachsblond und mit einer aufwärtsgebogenen Nase, meldete sich zu Wort, ohne zu strecken. »Mein Dad sagt, Lincoln hat mit der Kugel nur bekommen, nach was er gefragt hat. Er sagt, Lincoln hat uns die Nigger auf den Hals gehetzt, und jetzt lässt er uns mit ihnen sitzen.«
    Manche Kinder schnappten erschrocken nach Luft, manche kicherten. Tom schloss für einen kurzen Moment die Augen. Da war sie wieder, die dumpfe Welle aus Zorn, die ihm über den Nacken kroch. Die Klasse hielt den Atem an, bis Tom die Augen wieder öffnete.
    Langsam ging er auf den Jungen zu und fragte mit seiner freundlichsten Stimme: »Wie heißt du, mein Junge?«
    »Henry Gustavson, Sir. Mein Vater ist der Küfer hier in St. Petersburg.«
    »So, so, Henry Gustavson, Sohn des Küfers. Dann will ich dir mal etwas sagen: Dein Vater mag ja vielleicht wissen, wie man Fässer baut, aber davon, was einem Jungen guttut, hat er keine Ahnung.«
    Henry, die Arme angriffslustig vor der Brust verschränkt, kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. »Was einem Jungen guttut? Wie meinen Sie das, Sir?«
    »Wie lange gehst du schon zur Schule, Henry?«
    Henry blickte zu den Jungen links und rechts von ihm und schüttelte verwirrt den Kopf. »Weiß nicht. Vier, fünf Jahre vielleicht?«
    Tom, inzwischen bei Henrys Bank angekommen, streckte den Zeigefinger vor und stieß ihn dem erschrockenen Jungen gegen die Brust. »Siehst du! Genau das ist dein Fehler!«
    Henry schluckte

Weitere Kostenlose Bücher